Wissenschaften
Vom Militärstützpunkt zum Hauptversorgungshafen
Kein Romreisender, der sich für antike Kultur und Architektur interessiert, sollte sich einen Besuch in der einige Kilometer außerhalb der Metropole liegenden Hafenstadt Ostia (heute: Ostia Antica) entgehen lassen. Der einstige Hafen, der als Hauptumschlagplatz des Römischen Reichs die Bewohner mit Lebensmitteln und anderen Waren versorgte, ist heute neben Pompeji und Herculaneum eine der größten Ausgrabungsstätten Italiens. Politische und gesellschaftliche Veränderungen im Römischen Reich sind auch an der Entwicklung Ostias und seiner Architektur erkennbar. Die Archäologin Marion Bolder-Boos hat mit ihrem Band "Ostia - Der Hafen Roms", der als Sonderband der Zeitschrift "Antike Welt" in der Reihe "Zaberns Bildbände zur Archäologie" erschienen ist, die Entwicklung der kleinen Siedlung Ostia an der Tibermündung von der Gründung bis zur Spätantike nachgezeichnet.
Die Geschichte Ostias beginnt vermutlich im 4. Jh. v. Chr., auch wenn die Siedlung der Sage nach bereits im 7. Jh. v. Chr. gegründet worden sein soll, doch dafür lassen sich keine archäologischen Anhaltspunkte finden. Was später als Hauptversorgungshafen in die Geschichte des Weltreichs Rom eingeht, beginnt eigentlich als Militärstützpunkt, mit dem die Tibermündung bewacht werden soll, so dass keine Schiffe den Tiber hinauf bis Rom gelangen können. Mit Beginn der Kaiserzeit und dem häufig ausufernden Bauwahn der jeweiligen Kaiser beginnt auch in Ostia die Zeit der großen baulichen Veränderungen. Neue Hafenbecken werden gebaut und große Speichergebäude errichtet, die die Versorgung der Römer mit Getreide u.a. aus Ägypten sicherstellen soll. Mit den baulichen Veränderungen gehen auch gesellschaftliche Veränderungen in der Siedlung einher. Die Bevölkerung wächst und Einrichtung wie Thermen, Theater und Aquädukte, die zum römischen Alltagsleben gehören, halten Einzug in Ostia. In ihrer Blütezeit im 1. und 2. Jh. n. Chr. leben circa 50.000 Menschen in der Hafenstadt.
In der Spätantike, als Rom nicht mehr einzige Hauptstadt des nun geteilten Reiches ist, verlagert sich der Schwerpunkt auf den Hafen von Konstantinopel und Ostia verliert nach und nach seine Bedeutung als Haupthandelshafen des Römischen Reiches. Die Einwohnerzahl schrumpft, bis die Stadt im Frühmittelalter komplett aufgegeben wird und von den Bewohnern neuer Siedlungen im Umland als Steinbruch genutzt wird. Ostia wurde nie von Eroberern zerstört, sondern schlichtweg aufgegeben und das Baumaterial anderweitig verwendet.
Konsequente Forschungen und Ausgrabungen werden etwa seit dem 19. Jahrhundert betrieben, allerdings nicht immer mit der nötigen Vor- und Weitsicht, so dass heute z.B. die Datierung der Gebäude nicht immer ganz einfach ist. Marion Bolder-Boos gibt in ihrem 144-seitigen und 24 mal 30 Zentimeter großen Band zur Hafenstadt Roms, der mit eigens für diese Publikation erstellten Fotos reichlich bebildert ist, eine chronologische Übersicht über die Stadt und ihre bauliche Entwicklung. Zum besseren Verständnis findet der Hobbyarchäologe bzw. -historiker im Anhang eine Übersicht über die Epochen der römischen Kultur und die römischen Mauerwerks- und Fußbodenarten. Ein Glossar hilft mit häufig verwendeten Termini und eine Liste mit weiterführender Literatur am Ende des Bandes sowie Hinweise auf weitere Publikationen im Vorwort geben die Möglichkeit, sich nach Belieben noch weiter in der Materie zu vertiefen. Bolder-Boos‘ "Ostia - Der Hafen Roms" ist perfekt zur Vor- und Nachbereitung einer Rom-Studienreise; für die Reise selbst muss es jedoch der kompakte Reise- und Studienführer tun, der sich einfacher in der Reisetasche verstauen lässt.
Sabine Mahnel
10.11.2014