Hörbücher

Die Geister, die ich rief

John von Neumann war seiner Zeit definitiv voraus. Ende 1903 in Budapest geboren gehörte von Neumann zu den sogenannten "Marsianern", einer Gruppe von Physikern und Mathematikern, allesamt hochbegabt und aus dem jüdischen Großbürgertum in Budapest entstammend. Sie waren ob des aufkommenden Nationalsozialismus rechtzeitig in die Vereinigten Staaten emigriert, genossen dort ihre Ausbildung und wirkten an den angesehensten Fakultäten des Landes oder gar in Gruppierungen mit allerhöchster Geheimhaltungsstufe wie dem "Manhattan-Projekt". Von Neumann war zunächst vorzugsweise in klassischen mathematischen Fachgebieten aktiv, bevor er schließlich Neuland betrat. So gilt er zum einen als Mitbegründer der Spieltheorie, zum anderen ist er unzweifelhaft einer der bedeutendsten Pioniere der Informatik.

Wie es sich für einen Genius der Superlative gehört, besaß auch von Neumann zahlreiche Spleens, die er teils zur Erheiterung, aber auch teils zum Schrecken seines Umfeldes auslebte. Doch heutzutage überwiegen seine Errungenschaften. Seine Entwürfe zu Computer-Architekturen sind auch heute prinzipiell noch gang und gäbe. Insbesondere seine Arbeiten zur Spieltheorie und Informatik waren wegbereitend gewesen für zwei Disziplinen, die aus dem Hier und Jetzt nicht mehr wegzudenken sind. Auch in Sachen künstlicher Intelligenz zeichnete von Neumann für viele Grundlagen verantwortlich. Wenn heute von den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz die Rede ist, dann fußen diese in vielerlei Hinsicht auf von Neumanns Ideen und Konstruktionen. Die Bedeutung von Neumanns für die Informatik kommt ohne Übertreibung derjenigen von Einstein für die Physik gleich.

Der chilenische Schriftsteller Benjamín Labatut hat versucht, sich der vielschichtigen Person John von Neumanns in seinem neuesten Roman "Maniac" zu nähern. Dabei vermeidet er klassische Erzählformen, um die Vita seines Protagonisten wiederzugeben. Stattdessen lässt er zahlreiche Weggefährten von Neumanns zu Wort kommen, von denen manche direkt mit ihm konfrontiert sind, aber auch solche, deren Wege diejenigen von John von Neumann nur tangieren. Während einige dieser Berichterstatter in Fortsetzungen und damit mehrfach in "Maniac" ihre Anekdoten und Begegnungen zum Besten geben, kommen andere nur ein einziges Mal zu Wort. Das vorliegende Hörbuch wurde vom Hörverlag zeitgleich zur Buchveröffentlichung als vollständige Lesung herausgebracht. Zwangsläufig forderte die Erzählform des Autors sogleich ein ganzes Heer an Sprechern für die rund zehneinhalb Stunden Laufzeit. Insgesamt 16 verschiedene Sprecher treten hierbei auf, Wechsel werden stets durch Nennung des entsprechenden Namens eingeleitet.

Doch Labatuts "Maniac" ist nicht nur eine etwas unkonventionell erzählte Lebensgeschichte John von Neumanns, sondern auch eine Beschäftigung mit den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz auf Basis von dessen Ideen. Nach rund Dreiviertel des Hörbuchs endet die Geschichte von Neumanns und ein zeitlicher Bruch befördert den Hörer in das 21. Jahrhundert zu Lee Sedol und Demis Hassabis. Ersterer ist ein südkoreanischer Go-Spieler und als dessen Dominator quasi das Pendant zu Magnus Carlsen. Hassabis, ein Engländer mit zypriotischen Wurzeln, war selbst ein ganz passabler Schachspieler, widmete sein Leben aber schließlich der KI-Programmierung und produzierte mit seinem Unternehmen DeepMind Maschinen, die Schach oder das noch komplexere Go auf einem Level spielen, das niemals von einem Menschen erreicht werden kann.

"Maniac" besticht durch zwei Geschichten, die sich in ihrer Form zwar überhaupt nicht ähneln, aber inhaltlich stark miteinander verbunden sind. Die Pionierarbeiten von Neumanns haben dafür gesorgt, dass heutzutage Maschinen wie Alpha Zero, Alpha Go oder Stockfish unschlagbar sind und für Spiele wie Schach und Go für eine Zäsur gesorgt haben. Besonders eindringlich ist Labatuts Schilderung des Wettkampfs zwischen Alpha Go und Lee Sedol im Jahre 2016, wenn er jede Partie zu einem wahren Krimi werden lässt und dabei tief in die Gedankenwelt von Menschen und Maschinen hinabsteigt. "Maniac" erfährt durch diesen Sprung in die Gegenwart eine Aufwertung, die einen als Hörer noch lange gedanklich bei dem verweilen lässt, was man gerade über von Neumann, dessen Umfeld und die Entwicklungen, die sich aus deren Arbeiten ergeben haben, gehört hat.

Christoph Mahnel 
13.11.2023

 
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Das Buch:

Benjamín Labatut: Maniac

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Sprecher: Thorsten Giese, Günter Schoßböck, Luise Georgi, Wenzel Banneyer, Danne Hoffmann, Stefan Kaminsky u.v.a. München: Der Hörverlag 2023 Spielzeit: 629 Min., € 26,00 ISBN: 978-3-8445-5029-0

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