Hörbücher
Mutter und Tochter und dazwischen viel Unausgesprochenes
In der schwäbischen Provinz der 1950er-Jahre lebt die Ärztin Evelyn Borowski ein von außen betrachtet erfülltes, gutbürgerliches Leben. Sie ist verheiratet mit einem fürsorglichen Mann, der auch Arzt ist, und hat ein hübsches Haus - allein der Nachwuchs will sich nicht einstellen. Als sie nach Jahren doch noch eine Tochter zur Welt bringt, scheint das Glück perfekt. Doch für Evelyn ist nichts perfekt. Sie gibt ihre Arbeit auf und versucht verbissen, eine gute Hausfrau und Mutter zu sein, doch beides will ihr nicht gelingen, so dass das lang ersehnte Familienglück für Evelyn zur Familienhölle wird.
Über drei Jahrzehnte später begibt sich Silvia, Evelyns Tochter, im Sommer 1989 von Berlin aus auf eine Reise in ihre schwäbische Heimat, die sie vor 15 Jahren fluchtartig verlassen hat und in die seitdem nie zurückgekehrt ist - auch nicht zur Beerdigung ihres geliebten Vaters. Silvia gehört in Berlin zur Hausbesetzerbewegung und lebt von Gelegenheitsjobs. Eine ungewollte Schwangerschaft und ein Vater, der nichts von seinem Kind wissen will, sind wahrscheinlich nur zwei Gründe, warum Silvia in einer Nacht-und-Nebelaktion die Reise von Berlin nach Schwaben antritt, um ihre Mutter zu besuchen. Mit ihrer drei Monate alten Tochter Hannah steht sie eines Tages unangemeldet vor der Tür ihres Elternhauses und trifft auf die Mutter, die einst so große Schwierigkeiten hatte, sich mit ihrer Mutterrolle anzufreunden.
Alena Schröder hat nach ihrem Debütroman "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" vor zwei Jahren mit "Bei euch ist es immer so unheimlich still" nun eine besondere Art des Fortsetzungsromans geschrieben. Es geht in ihrem neuen Roman um die Personen und ihre Geschichten, die bei "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" nicht beleuchtet wurden; teilweise eine Art Vorgeschichte, teilweise aber einfach ein anderer Fokus.
Schröders Romane leben von den starken, komplexen und auch komplizierten Frauenfiguren. In "Bei euch ist es immer so unheimlich still" sind es nicht nur Evelyn und Silvia, die den Ton angeben. Da ist noch Evelyns schrille Schwägerin Betti, von der Silvia glaubt, sie sei tot, von der sie jedoch kein Grab auf dem Friedhof finden kann. Oder die alte Schulkameradin von Silvia, die einst das angesagteste Mädchen auf dem Schulhof war und nun in der schwäbischen Einöde als Avon-Beraterin mit Eheproblemen festhängt. Natürlich sind es die beiden Hauptfiguren Evelyn und Silvia, die die Geschichte, die im Wechsel zwischen 1989 und den 50er-Jahren aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt wird, tragen, doch die ebenfalls sehr facettenreichen Nebenfiguren runden das Ensemble gekonnt ab.
Die ungekürzte Hörbuchfassung wird von der Schauspielerin, Synchron- und Hörbuchsprecherin Elisabeth Günther gelesen, die neben vielen verschiedenen Stimmfarben auch noch den schwäbischen Dialekt perfekt beherrscht und damit besonders viel Authentizität in die Lesung bringt.
Alena Schröders Romane passen in viele Schubladen: Familienroman, Generationenkonflikt, Mutter-Tochter-Beziehung, Geschichten über starke Frauen usw. Doch sind sie vor allem eines: unterhaltsam, ohne trivial zu sein, und berührend, ohne rührselig zu sein.
Sabine Mahnel
23.10.2023