Hörbücher
Nichts für Feiglinge: Altwerden
Eigentlich ist die Senioren-WG in Sunset Hall der perfekte Ort, um einen unterhaltsamen Lebensabend zu verbringen. In dem Landhaus haben sich einige mehr oder weniger betagte Alte zusammengefunden, die dort alle ihre verbliebenen Fähigkeiten einbringen und gemeinsam die Zielgerade ihres Lebens genießen. Da wäre zuvorderst Agnes zu nennen, die Besitzerin dieses englischen Landsitzes, die allerdings nicht mehr allzu gut zu Fuß ist. Währenddessen hat der Marschall so seine Probleme mit dem Gedächtnis, Bernadette mit den Augen und um die Mobilität von Winston ist es eingedenk seines Rollstuhls auch nicht zum Besten bestellt. Zusammen agieren alle aber ganz prächtig, selbst die Schildkröte Hettie hat ihr Plätzchen in dieser Konstellation gefunden. Als jedoch eines Morgens Lillith eine weitere WG-Bewohnerin, erschossen und tot im Schuppen liegt, ist die Aufregung in Sunset Hall groß.
Wer hat ein Interesse daran, das Idyll dieser alten Menschen zu zerstören? Doch damit nicht genug, wenige Tage später wird im benachbarten Anwesen die Leiche einer zweiten Dame gefunden. Auch diese scheint nicht freiwillig aus dem Leben geschieden zu sein. Will etwa jemand peu à peu die alten Menschen in der Gegend ausrotten? Oder gibt es eine Verbindung zwischen den Fällen, vielleicht sogar eine Rechnung aus der Vergangenheit, die hier noch auf Erden beglichen werden soll? In Sunset Hall überschlagen sich die Ereignisse, die einstige Beschaulichkeit ist dahin. Die Integration von Charlie, der neu eingetroffenen Mitbewohnerin, samt ihrem Hund Brexit, sowie der temporäre Besuch von Nathan, dem Enkel des Marschalls, sorgen für weitere Turbulenzen in der Ü70-WG. Doch Agnes und ihre Mitstreiter haben längst beschlossen, der Sache selbst auf den Grund zu gehen und keine Ruhe zu geben, bis dem Mörder das Handwerk gelegt wird.
Die Zusammenstellung des Sets lässt schon erahnen, wer Sorge dafür getragen haben könnte, dass ein solch ungewöhnliches Ermittlerteam seine Arbeit aufnimmt: Es ist natürlich Leonie Swann, die mit "Mord in Sunset Hall" ihren neuesten Roman herausgebracht hat. Ließ sie in "Glenkill", ihrem fulminanten Debüt aus dem Jahre 2005, und in "Garou" eine Schafsherde ermitteln, unterstützte bei "Gray" schließlich ein Papagei bei der Aufklärung eines Falles. Nun also schickt sie eine Senioren-WG ins Rennen, die aufgrund ihrer altersbedingten Limitierungen ähnlich wie die genannten tierischen Ermittler ihre Arbeit äußerst wohlüberlegt aufnehmen muss. Auch anderthalb Jahrzehnte nach ihrem Debüt hat Leonie Swann ihren Schreibstil konserviert, mit ganz viel Humor fokussiert sie sich auf die Behäbigkeit ihrer Protagonisten und deren Restriktionen, die ganz schön nerven können, wenn man einen mehrfachen Mörder dingfest machen möchte.
Parallel zur Buchausgabe ist beim Hörverlag die vorliegende Hörbuchausgabe erschienen, als vollständige Lesung über mehr als achteinhalb Stunden, gelesen von Anna Thalbach. Die Schauspielerin, die eine sehr erfahrene Sprecherin von Hörbüchern und Hörspielen ist, gibt dem Hörbuch mit ihrer äußerst markanten Stimme eine ganz eigene Note. Auch trägt die Wandlungsfähigkeit ihrer Stimmlagen dazu bei, dass die verschiedenen Bewohner der Senioren-WG eine eigene Gestalt bekommen. Damit führt sie fort, was die Autorin bei der liebevollen Ausgestaltung ihrer Charaktere begonnen hat. Die Lesung umfasst insgesamt 25 Kapitel, deren Titel durchweg kulinarischer Natur sind und damit unterstreichen, welch zentrale Rolle Zufriedenheit für Leib und Magen bei den alten Herrschaften einnimmt.
Ob die Hörbuchausgabe in diesem Fall mit einer gekürzten Fassung nicht kurzweiliger rübergekommen wäre, darüber lässt sich sicherlich streiten. Da der Vortrieb der Handlung aufgrund der körperlichen Einschränkungen von Agnes und Co. etwas leidet, zieht sich die eine oder andere Passage beim Hören doch etwas in die Länge. Sei es drum, Leonie Swann hat mit "Mord in Sunset Hall" erneut einen Roman vorgelegt, der abseits der ausgetrampelten Pfade spielt und alleine deswegen Beachtung findet. Der schwarze Humor wohnt der mittlerweile in England lebenden Autorin zweifelsohne inne und durchdringt die gesamte Handlung. Doch hält die Geschichte auch einige nachdenkliche Passagen über das Älterwerden bereit, über die unschönen Gebrechen hinaus hat wohl jeder im Laufe eines Menschenlebens so einige Episoden in seinen Rucksack gepackt. Im schlimmsten Falle werden diese noch während des irdischen Daseins erneut auf den Tisch gelegt und abschließend behandelt, so wie im eigentlich beschaulichen Sunset Hall.
Christoph Mahnel
07.09.2020