Hörbücher
Von der Eigenwilligkeit künstlerisch ambitionierter Hörspiele
Christopher Tietjen, ein englischer Adliger wie er im Buche steht, kämpft zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts an vielen Fronten. Selbstlos und zurückhaltend, ein Gentlemen durch und durch, der alle positiven Charaktereigenschaften auf sich zu vereinigen scheint, leidet er unter seiner sprunghaften Frau Sylvia, die keine Gelegenheit auslässt, ihn zu hintergehen und bloßzustellen. Ob der einzige Spross der Familie tatsächlich sein Sohn ist oder ob Sylvia ihm ein Kuckucksei ins Nest gelegt hat, keiner weiß es so genau. Da trifft Christopher auf Valentine Wannop, eine Suffragette. Doch traut er sich nicht, sich in sie zu verlieben oder gar seine Frau zu hintergehen. Schließlich flüchtet sich Tietjen in den Ersten Weltkrieg, um dort den weiblichen Wirrungen zu entgehen. Doch wird er sich mit seinen Idealen und seiner Integrität arrangieren und eine Entscheidung zwischen Ehefrau und Angebeteter treffen müssen.
"Das Ende der Paraden" ist das Hauptwerk des englischen Schriftstellers Ford Madox Ford. Geboren im Jahre 1873, mit deutschen sowie künstlerischen Wurzeln versehen nahm der Autor selbst am Ersten Weltkrieg teil, bevor er in den Folgejahren besagte Tetralogie verfasste. Von 1924 bis 1928 schrieb er die vier zusammenhängenden Bücher "Manche tun es nicht", "Keine Paraden mehr", "Der Mann, der aufrecht blieb" und "Zapfenstreich". Fast hundert Jahre später erfährt diese Tetralogie neuerliche Aufmerksamkeit. Zuallererst wäre dabei die von der BBC im Jahr 2012 produzierte Serie "Parade’s End - Der letzte Gentleman" zu nennen. Sechs Episoden à 45 Minuten umfasst die serienhafte Verfilmung der Geschichte Christopher Tietjens mit Benedict Cumberbatch, bekannt vor allem als Sherlock Holmes der Moderne, in der Hauptrolle.
Auf dem deutschsprachigen Markt sorgt dieser Tage eine vom Bayerischen Rundfunk produzierte und vom Hörverlag herausgegebene Hörspielfassung von "Das Ende der Paraden" für Aufsehen. Der in der DDR geborene Komponist und Regisseur Klaus Buhlert hat bereits in der Vergangenheit einige preisgekrönte Hörspiel- und Hörbuchproduktionen abgeliefert, sei es sein Hörspiel "Ulysses" oder seien es Musils "Mann ohne Eigenschaften" oder Kafkas "Schloss". In "Das Ende der Paraden" hat er sich nun künstlerisch austoben dürfen wie nie zuvor. Seine Interpretation der knapp tausendseitigen Buchvorlage ist höchst individuell ausgefallen. Dazu hat er seinen ihm als Komponist innewohnenden Emotionen freien Lauf gelassen. Wenn die zahlreichen musikalischen Intermezzi erklingen, glaubt man sich wahlweise in die Zeit der Neuen Deutschen Welle zurückversetzt oder Nina Hagen beim inbrünstigen Intonieren aufgeschnappter Satzfetzen beizuwohnen.
Hörspiele und insbesondere Hörspiele solch umfangreicher Vorlagen unterliegen grundsätzlich der großen Herausforderung, dass man die teilweise epischen Handlungsstränge auf wenige Dialoge zusammenkürzen muss und sich dabei nur weniger Erzähleinlagen bedienen sollte. Wenn dann der Hörspielproduzent auch noch künstlerische Ambitionen hegt, kann das Werk für Otto Normalverbraucher leicht ins Unverständliche abdriften. Dies ist leider auch hier der Fall, zumindest für diejenigen Hörer, denen die Buchvorlage unbekannt ist. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, sich mit der Tetralogie von Ford Madox Ford intensiv auseinandergesetzt zu haben und sich Zeit für das Hörspiel zu reservieren, in der man sich aufmerksam und konzentriert den sieben CDs widmen kann. Die ersten drei Bücher finden sich auf jeweils zwei CDs umgesetzt wider, während "Zapfenstreich" als finaler Band auf der siebten und letzten CD abgehandelt wird.
Der angefixte Hörer wird aber durch das vorliegende Hörspiel womöglich auch den umgekehrten Weg gehen und sich nach dem Konsum des verwirrenden Hörspiels der Buchvorlage widmen und eventuell auch der massentauglichen BBC-Produktion. Dann wird man nämlich den Tiefgang dieses bedeutenden Werks von Ford Madox Ford auch in der Hörspielfassung nachvollziehen können, gilt es doch als sehr präzise Darstellung der englischen Mittel- und Oberschicht zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Dies führt dazu, dass Ford Madox Ford auch als einer der bedeutendsten Schriftsteller Englands dieser Epoche genannt wird. Eine intensive Beschäftigung mit dessen Werk vorab wird die vorliegende Hörbuchproduktion, in der ein ganzes Ensemble hochklassiger Sprecher in Erscheinung tritt, dann auch zu einem Fest für die Sinne machen.
Christoph Mahnel
23.04.2018