Hörbücher
Erste Gehversurche der Demokratie in Deutschland
Vergleicht man Deutschland mit seinen heutigen Partnern in Europa, dann war man hierzulande, was die Etablierung der Demokratie betrifft, ganz schön spät dran. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann mit der Weimarer Republik die erste Demokratie auf deutschem Boden aus. Das ganze Konstrukt war gekennzeichnet von vielen personellen Wechseln, Neuwahlen sowie unterschiedlichsten Regierungskonstellationen und überdauerte nicht einmal anderthalb Jahrzehnte. Die nationalsozialistische Machtergreifung im Jahre 1933 markierte schließlich das Ende dieses ersten deutschen Versuchs, eine Demokratie auf die Beine zu stellen. Es brauchte mit dem Zweiten Weltkrieg noch eine abscheuliche und menschenverachtende Zäsur, bis mit der Bundesrepublik Deutschland die parlamentarische Demokratie eingeführt wurde, die bis zum heutigen Tage Bestand hat.
Hans Sarkowicz hat für sein informatives Hörbuch zur Weimarer Republik mit "Die ungeliebte Demokratie" einen sehr passenden Titel gefunden. Im Münchener Hörverlag ist dieses proppenvolle Feature mit vielen Originalbeiträgen aus der Zeit der Weimarer Republik erschienen. Auf zwei CDs tragen verschiedene Sprecher zusammen mit den Einspielungen allerlei Wissenswertes zusammen. Die knapp fünfzehn Jahre der Weimarer Republik werden hier auf 164 Minuten chronologisch durchschritten. Zusammen mit dem Hessischen Rundfunk produzierte Sarkowicz, der dort seit knapp vierzig Jahren arbeitet, diesen Ritt durch eine wahrlich ereignisreiche Zeit.
Vor gut einem Jahr hatte Hans Sarkowicz mit "Geheime Sender" bereits ein sehr gelungenes Feature über den Rundfunk im Widerstand gegen Hitler beim Hörverlag herausgebracht. Wer dieses Werk genießen durfte, wird ohne Zögern auch beim vorliegenden Hörbuch zugreifen, und dies zu keiner Sekunde bereuen. Die Fülle an Fakten und Beiträgen wird der kundige Hörer sicherlich gut verarbeiten und einordnen können. Allerdings ist es sicherlich sehr lohnenswert, dieses Feature ob seiner Informationsdichte mehrere Male zu genießen. Bei den originalen Tonaufnahmen wird man das eine oder andere Mal nicht umhin kommen, den Lautstärkeregler nach oben zu ziehen, was jedoch verschmerzlich ist, haben diese Aufnahmen doch fast einhundert Jahre auf dem Buckel.
So jährt sich im kommenden November die Ausrufung der Weimarer Republik zum hundertsten Male, was dem Erscheinen des vorliegenden Werks eine besondere Note verleiht. Sarkowicz hat darin versucht, nicht nur die unendlich scheinenden Wahl- und Koalitionsarien mit dem sich immer schneller drehenden Personalkarussell zu dokumentieren, sondern auch den Zeitgeist greifbar zu machen. Schließlich war insbesondere Berlin in den Zwanzigern, den "Roaring Twenties", eine der pulsierendsten Metropolen auf dem gesamten Erdball. Der Rundfunk kam in Mode und wurde als Informations- und Unterhaltungsmedium genutzt, aber auch die Propaganda begann, dessen Stellenwert zu begreifen. Die Künstlerszene war während der Weimarer Republik im Aufbruch, auf deutschen Bühnen wurden die Stücke von Bertolt Brecht und Co. dargeboten.
In "Die ungeliebte Demokratie" kommen viele prominente und intelligente Menschen zu Wort, exemplarisch seien die Nobelpreisträger Thomas Mann und Albert Einstein genannt oder auch mit Ernst Toller ein interessanter literarisch-politischer Zeitgenosse. Beim Hören bekommt man rasch den Eindruck, dass es eine verrückte Zeit gewesen sein muss, in der viel Sprengstoff verborgen war, der - so lehrte die Geschichte leider - später dann auch zum Ausbruch kam. Im begleitenden Booklet finden sich neben einem zehnseitigen Text von Hans Sarkowicz noch reichlich bebildert die wichtigsten Daten dieser Epoche, dazu kurz und knapp hilfreiche Informationen zu den zentralen Wortführern in diesem hervorragenden Ton-Dokument. Hans Sarkowicz ist mit "Die ungeliebte Demokratie" ein weiteres Hörbuch gelungen, das als Blaupause für informative Features dienen sollte.
Christoph Mahnel
09.04.2018