Romane
Die Suche nach sich selbst
Das Leben von Sylvia ist alles andere als rosig. Die Scheidung vom Ehemann ist noch nicht allzu lange her und dann wird sie auch noch von ihrer Arbeit freigestellt. Alles kleine Katastrophen, die der 40-jährigen Powerfrau endlich die Chance geben, ihren Traum von einer Rundreise im Alten Europa zu erfüllen. Mit dem richtigen Abstand vom alten Leben möchte die Amerikanerin über einen Neuanfang nachdenken und zu sich selbst finden. Auf einer Piazza in Fiesola trifft Sylvia auf Henry, einem charmanten Lebemann, der es sich mit dem Geld seiner Frau gut gehen lässt. Und auch er kann einiges aus seinem Leben berichten. Sie beschließen, ihre Reise gemeinsam fortzusetzen.
Während ihrer "Flucht" vor dem Leben entsteht weit mehr als eine Freundschaft - Sylvia und Henry verbindet eine Liebe, die dem normalen Leben unterworfen ist und wie eine Sommerromanze nur für wenige Wochen Bestand haben soll. Und trotzdem ist sie stärker als bei so manch anderen Paaren. Sie vertrauen sich intimste Details ihres Lebens an, sprechen über verpasste Chancen, Kindheitsträume und Familiengeheimnisse und leben nur bis zum nächsten Tag. Gedanken, wohin der Weg zu führt und was sie an dessen Ende erwartet, werden verdrängt. Sylvia und Henry geht es um die Vergangenheit und Gegenwart, ihre Zukunft klammern sie in ihren Gesprächen lieber aus. Und doch stehen sie am Ende vor einer Entscheidung, einer Weggabelung, die ihnen die Richtung ihres Lebens aufzeigen wird.
Binnie Kirshenbaums Roman "Die Geschichte von Henry und mir" ist ein grandioses Geflecht, gewebt aus Vergangenheit und Gegenwart zu einem unterhaltsamen Kunstwerk - mit genau dem richtigen Maß an Gefühl, Herzensfrische und ergreifenden Charme. Auf gut 300 Seiten zeichnet der US-amerikanische Autor zwei Lebensgeschichten nach, die von Seite zu Seite immer mehr zu detailreichen, opulenten Familienporträts geraten, in denen sich auch der Leser selbst finden kann. Es ist ganz großes Kino, was Kirshenbaum dem Rezipienten mit "Die Geschichte von Henry und mir" zum Lesen in die Hand gibt.
Susann Fleischer
14.06.2010