Romane
Das Leben schreibt die schönsten Geschichten
Wenn es nicht die wahre Geschichte des Autors und seines Sohnes wäre, käme man in Versuchung, sie nicht zu glauben: Ein Vater macht seinem schulschwänzenden, lustlosen und frustrierten Sohn das Angebot, die Schule nach der 10. Klasse zu verlassen und danach einfach nichts zu tun: keine Schule, keine Arbeit, freie Kost und Logis - nur eine Bedingung stellt David Gilmour seinem Sohn Jesse: Er muss sich jede Woche mit ihm drei Filme anschauen, von "Psycho" bis "Casablanca", von französischem Autorenfilm bis Neuer Deutscher Film, von Woody Allen über Steven Soderbergh bis Steven Spielberg.
Was sich wie ein Kurs in Filmgeschichte anhört - der Kanadier Gilmour ist nicht nur Buchautor, Journalist und Fernsehmoderator, sondern auch Filmkritiker - wird für Vater und Sohn zu einer unvergesslichen Zeit. David Gilmour versucht in seiner Verzweiflung, mit Hilfe der Filme und seinem Wissen über diese zu seinem Sohn durchzudringen und ihm nicht nur etwas über gute Filme, Schnitttechniken, Schauspielerei und Kunst zu vermitteln, sondern ihm vor allem eine Lektion in Sachen Freundschaft, Liebe und Leidenschaft zu erteilen. Denn was als eine Art Zwangsveranstaltung - zumindest für den Sohn - beginnt, entwickelt sich immer mehr zu einer Art Vergnügen, denn Vater und Sohn unterhalten sich nicht nur über die Geschichten im Film, sondern auch die Geschichten, die das Leben schreibt. So gewinnt David Einblicke in das Leben seines halbwüchsigen Sohnes, die Eltern oft verwehrt bleiben. Sie reden über Mädchen, Musik, Arbeit, Drogen, Geld, Liebe, Freundschaft und Leidenschaft.
"Unser allerbestes Jahr" - in Wirklichkeit hat der exklusive Film Club von Vater und Sohn sogar länger als ein Jahr bestanden - ist einerseits ein Roman über das Erwachsenwerden und die Nostalgie eines Elternteils, das auf eine Zeit mit Freude, aber auch Wehmut zurückblickt, und das die schmerzliche Erfahrung machen muss, dass die eigenen Kinder früher oder später ein eigenes Leben entwickeln und dem Nest entfliehen. Andererseits ist es aber auch ein Roman für alle Filmliebhaber, die sich an Anekdoten, kurzen Biographien oder Filmanalysen erfreuen. Aber egal, ob man sich als Leser mehr für den ersten oder zweiten Aspekt dieses Romans - eigentlich: dieser Memoiren - interessiert, man ist gleichermaßen von der ergreifenden, enthusiastischen und emotionalen Art Gilmours gefesselt, über diesen Abschnitt in seinem Leben zu schreiben.
Gilmours neuester Roman, der in seiner Heimat Kanada bereits ein Bestseller ist und im Original schlichtweg "The Film Club" heißt, ist das erste seiner Bücher, das in deutscher Übersetzung erscheint. Außerdem ist es der beste Beweis dafür, dass das Leben selbst immer noch die besten, spannendsten und unvorhersehbarsten Geschichten schreibt.
Sabine Mahnel
16.02.2009