Romane

"Fack you Göte again" - Humor und Kanon in Christian Tielmanns Romandebut "Unsterblichkeit ist auch keine Lösung"

Irgendwie kommt uns das Muster schon bekannt vor, das uns Christian Tielmann in seinem Romandebut "Unsterblichkeit ist auch keine Lösung" vorstellt: Nun ist nicht "Er" wieder da, sondern sie im Plural: Goethe und Schiller bewegen sich als lebende Autorenfiguren in der Gegenwart und sind mit den üblichen Gepflogenheiten eines modernen Schriftstellerlebens konfrontiert. Zugegeben, Goethe und Schiller wirken in diesem Setting nicht annähernd so spektakulär wie Hitler vor einigen Jahren, dennoch ist die Idee immer noch witzig.

Goethe und Schiller, die großen deutschen Dichter müssen sich auf Lesereise begeben. Das tun heute alle Autoren wegen oder gerade trotz des kriselnden Buchmarkts. Unter dem Titel "Klassiker zum Anfassen" lesen, pardon - einfach lesen genügt heute ja nicht mehr, um Bücher zu verkaufen - also performen die beiden legendären Dichter an verschiedenen Orten, in Weimar, Göttingen, Northeim, Osterode, Claustal-Zellerfeld, Goslar und auf dem Brocken. Dabei schlagen sie sich mit den für diese Kulturerlebnisform üblichen Herausforderungen herum: Desinteressierte und von ihren LehrerInnen zur Teilnahme an den Lesungen genötigte Schüler und Schülerinnen, nebenbei die ständige Auseinandersetzung mit aktuellen Verkaufszahlen ihrer Verlage. Weiterhin beansprucht die beiden lebenden Dichterdenkmale die nicht ganz freiwillig gewählte Gesellschaft kulturbeflissener Literaturinteressierter im mittleren Alter und nicht zuletzt die Heiserkeit, die als drohendes Versagen der eigenen Stimme hier durchaus mehrdeutig zu lesen ist.

Auf den ersten Blick ist es ein rasch und kurzweilig zu lesender Roman, der uns bei der Lektüre durch Ironie, Anachronismen oder Transpositionen, wie die neuartige "Eckermann App", die Goethe heutzutage jederzeit behilflich ist, immer wieder spontan schmunzeln lässt. Auch die Dichterfiguren sind wiedererkennbar: Schiller ist der Volksnahe, der das Publikum durchaus mit "Räubergeschichten" in seinen Bann ziehen kann und sogar den ganz jungen Lesern noch irgendwie nahe kommt. Goethe hingegen erscheint als der ewig Distanzierte, der jedoch stets noch die Reize des Weiblichen zu schätzen weiß. Sogar die unbekannte Schöne aus den Römischen Elegien glaubt man irgendwo wiederzuerkennen. Im Roman heißt sie dann "Steffi". Echt jetzt? (!) - wie prosaisch!

Auf den zweiten Blick erst offenbart sich die eigentliche Qualität dieses Romans, die sich zunächst hinter dem Humoristischen verborgen hatte: Der Text spielt die Funktionsweise von Klassikern im literarischen Kanon und von Kanonisierung durchaus radikal und konsequent durch, nur um sie später zu parodieren und zu hinterfragen. Zu Recht, denn schon bei der Lektüre des ersten Satzes entscheidet sich, ob man zu den Gebildeten gehört, die das hier verwendete Goethezitat und die vielen anderen Anspielungen erkennen können, oder eben nicht.

Da hilft es schon, wenn man auch als Angehöriger bildungsbürgerlicher Eliten über sich selbst schmunzeln kann.

Carina Gröner 
01.03.2021

---------

Zur Rezensentin:
Dr. phil. Carina Gröner ist Assistentin am Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur der Universität St. Gallen sowie Lehrbeauftragte für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Konstanz.

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Christian Tielmann: Unsterblichkeit ist auch keine Lösung. Ein Goethe-Schiller-Desaster

CMS_IMGTITLE[1]

München: dtv 2019 223 S. € 14,00 ISBN: 978-3-423-28188-1

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.