Romane
Ein beeindruckendes Leseerlebnis vor der Kulisse des Monte-Rosa-Massivs
Pietros Eltern stammen aus den Bergen. Sie haben ihre Kindheit und Teenagerzeit in den Dolomiten verbracht. Bis sie im Oktober 1971, mit dem Ende der Klettersaison, die Koffer packen und nach Mailand ziehen. In der Großstadt ist alles so anders als auf dem Land. Pietros Vater vermisst die Natur und sehnt sich an die Spitze des Marmolada, der Tofane oder der Langkofelgruppe. Pietros Mutter hingegen geht ganz in ihrer Arbeit als Familienhelferin auf. Pietro kennt seinen Vater nur griesgrämig. Er selbst fühlt sich einsam, von aller Welt verlassen. Freunde hat Pietro keine. Und seine Eltern haben zu viel zu tun, um sich großartig um Pietro und seine Belange zu kümmern. So vergehen die Jahre. Pietro hat sich einigermaßen mit seinem Schicksal abgefunden.
Dann beschließt sein Vater, für den Sommer in die Berge zurückzukehren. Pietro, inzwischen elf, lernt mit Bruno einen Freund fürs Leben kennen. Wagemutig erkunden die beiden die verlassenen Häuser des Bergdorfs, streifen an endlosen Sommertagen durch schattige Täler, folgen dem Wildbach bis zu seiner Quelle. Als Männer schlagen die Freunde verschiedene Wege ein. Der eine wird sein Heimatdorf nie verlassen, der andere zieht als Dokumentarfilmer in die Welt hinaus, magisch angezogen von immer noch höheren Gipfeln. Doch immer wieder kehrt Pietro in die Berge zurück, zu diesem Dasein in Stille, Ausdauer und Maßhalten. Er ringt mit Bruno um die Frage, welcher Weg der richtige ist. Bei dem bleiben, was man kennt? Oder den Aufbruch ins Ungewisse wagen?
Eine Geschichte von prosaischer Wucht und zugleich solch poetischer Schönheit, dass dem Leser nach nur wenigen Sätzen das Herz zu brechen droht - "Acht Berge" ist ein Juwel der Literatur. Die Story überstrahlt (fast) alles andere. Paolo Cognetti ist ein Erzähler, der seinesgleichen sucht. Seine Romane zeugen von unbändiger Fabulierlust und außerdem von Schreibkunst in höchster Vollendung. Dem italienischen Autor gelingt ein Leseerlebnis von großer Intensität. Was seiner Feder entstammt, ist so genial, dass es den Leser glatt umhaut. Zwischen zwei Buchdeckeln findet man Unterhaltung zum Niederknien gut. Man verliert sich in den Sätzen und vergisst über solch betörendes Gefühlskino die Welt vollkommen um sich herum. Absolut grandios, solch ein Lesegenuss!
"Acht Berge" ist der Beweis: Paolo Cognetti kann unfassbar gut schreiben. Seine Worte sind eine einzige Verführung. Einfach niemand kann diesen lange widerstehen. Die Werke des Mailänders sind von Meisterhand verfasst. Noch Tage nach deren Lektüre fühlt man sich ganz schwindelig, und so glücklich wie selten zuvor im Leben.
Susann Fleischer
11.09.2017