Krimis & Thriller
Carl Mørcks erster Fall
Carl Mørck von der Kopenhagener Mordkommission gilt als begnadeter Kriminalist, allerdings hat er in Kollegenkreisen keinen allzu guten Ruf. Da trifft es sich für seine Vorgesetzten ganz gut, dass die dänische Regierungspartei ein Sonderdezernat einrichten will, das selbstverständlich einen kompetenten Leiter braucht. So bekommt der Ermittler in Jussi Adler-Olsens Thriller "Erbarmen" sein eigenes Reich im Keller des Polizeipräsidiums. Seine Aufgabe: Die erneute Bearbeitung nicht aufgeklärter Fälle.
So hatte sich Mørck die Rückkehr ins Berufsleben nach einer Verletzung, die er sich bei Ermittlungsarbeiten zu einem Mordfall zugezogen hatte, nicht vorgestellt. Dass es nicht einfach werden würde ohne seine Partner Anker, der bei der Schießerei ums Leben kam, und Hardy, der eine Querschnittslähmung davontrug, war ihm durchaus bewusst, aber dass er allein das Sonderdezernat Q bilden und Schnee von gestern bearbeiten soll, entspricht dann doch nicht seinem Selbstverständnis. Und dann bekommt er noch diesen seltsamen Assad, einen mehr als komischen Kauz aus Syrien als sein "Mädchen für alles" zur Seite gestellt, bei dem er nicht so recht weiß, was er von ihm halten soll.
Der erste Fall, den Carl Mørck widerwillig erneut aufrollt, ist derjenige der Merete Lynggaard, einer beliebten jungen Politikerin, die vor fünf Jahren auf rätselhafte Art und Weise auf einem Ausflug mit ihrem geistig behinderten Bruder spurlos von einer Fähre verschwand. Vor dem Spezialermittler liegt ein riesiger Berg von Puzzleteilen, die er erst mühsamst aufdecken und dann zusammenfügen muss, indem er tief in die Vergangenheit der Entführten vordringt. Dabei erweist sich der verschrobene Assad als große Hilfe. Schließlich gelangen die beiden auf eine heiße Fährte, die sie direkt in die Höhle des Löwen führt, an den Ort eines unfassbaren Verbrechens.
Dort befindet sich seit fünf Jahren Merete Lynggaard, gefangen in einem Raum, in dem Jahr für Jahr der Druck um ein Bar erhöht wird, in dem sie mit ewiger Helligkeit oder ständiger Dunkelheit gequält und von ihren Peinigern verhöhnt wird. Und das, weil ein dunkler Schatten auf ihrer Vergangenheit liegt, an dem sie schwer zu tragen hat. Sie soll für ihre Schuld büßen bis zu dem Tag, an dem der Druck schlagartig aus ihrer Kammer entweichen und sie von innen heraus explodieren wird. Und dieser Tag ist nicht mehr fern...
Jede dieser beiden, als Gegenblenden angelegten Ebenen entwickelt sich in Jussi Adler-Olsens Thriller Stück für Stück weiter. Der Leser begleitet zum einen den Ermittler, der die Fehler seiner Kollegen von vor fünf Jahren ausmerzen muss, und zum anderen das Opfer, das den absoluten Alptraum durchlebt. Mit beiden hat Adler-Olsen unverwechselbare Charaktere geschaffen, die den Leser unweigerlich für sich einnehmen. Je weiter sich die beiden Handlungsstränge aufeinander zu bewegen, desto größer wird die Spannung, mit deren Dramatik das Tempo zum Finale rasant zunimmt. Dieser Thriller kennt kein Erbarmen mit zartbesaiteten Lesern!
Christian Götz
01.02.2010