Gedichtbände

Die Lockrufe des Ewig-Weiblichen!

Wendelin Schlosser hat mit "Der Ehebrecher" ein episches Gedicht zu Papier gebracht, das gesellschaftliche Themen aufgreift.

Was soll man wohl von einem solchen Kerl halten? Die Figur des "Ehebrechers" ist der moralische Kristallisationspunkt in Wendelin Schlossers neuer, gleichnamiger Veröffentlichung, die nun im August von Goethe Literaturverlag erschienen ist. Der Leser trifft auf einen Hallodri par excellence, einen Schlawiner und ein triebgesteuertes Schlitzohr, das sich von seinen Begierden und Sehnsüchten leiten lässt. Aber mitunter wirkt er auch wie ein armes Würstchen, das sich gegenüber seiner Frau Wanda mit fadenscheinigen Argumenten zu verteidigen sucht und die allgemeine Schwäche seines Geschlechts als Vorwand für seine individuellen Verfehlungen nimmt. Als ob alle Männer gleich wären!

Mit diesem Ehebrecher hat Wendelin Schlosser eine reizvolle, weil ambivalente Figur geschaffen, die für die einen eine Menge Identifikationspotential ("Wow, was für ein Hecht") bietet, für andere ein abschreckendes Beispiel der männlichen Spezies darstellt ("Denkt mit seinem Schwanz"). Der Ehebrecher - und seine Rede - ist eine Figur, an der man sich reibt. Der gattungstechnische Rahmen bildet ein episches Gedicht, das im eigentlichen Sinne ein großer und ausführlicher Diskurs über die Ehe bereit hält. Schlosser gelingt es dabei, das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven, mittels unterschiedlicher Figuren wie neben dem Ehebrecher und seiner Frau Wanda noch dem Teufel, einem Ratgeber, Eros und Venus, facetten- und abwechslungsreich zu beleuchten. Es gelingt seinem epischen Gedicht einen Sog zu entwickeln, dem man sich als Leser schnell hingibt.

Man lacht und staunt über die freizügigen Eskapaden des Ehebrechers, bewundert die Haltung seiner resoluten Frau Wanda, die sogar Verständnis für die Prostituierten hat, die ihr Mann aufsucht, und schüttelt im nächsten Augenblick den Kopf über die stellenweise wirklich billigen und schamlosen Ausreden, die er ins Feld wirft, um sein Triebe zu verteidigen. Mit derben Sprüchen und in deftigen Ausdrücken holt der Ehebrecher zum Verteidigungsschlag aus und argumentiert geschickt so, dass seine Frau Verständnis für sein Verhalten aufbringen möge - ein Schlawiner durch und durch, den Schlosser da auf das literarische Feld führt. Aber einer, der einem immer mal wieder Sympathie abnötigt. 

Man fragt sich, ob man mit diesem Zeitgenossen Mitleid haben soll, dafür, dass er von seiner Frau fallen gelassen wird bzw. diese ihm nun ihrerseits, nach Geständnis seiner Verwerfungen, androht: "Du wirst so einiges übers Herz ergehen lassen./Du wirst bekommen Schicksalsklatsche,/Denn du sitzt ganz tief in der Patsche!" - oder soll er Bewunderung erfahren, dafür dass er sich nimmt, was er will und sich etwas traut, was andere Geschlechtsgenossen sich wahrscheinlich nur in ihren kühnsten Träumen ausmalen? Sieht er seine Eroberungen gar als Akt männlicher Selbstbefreiung vom "Joch der Ehe"?

"Eine Ehe ist nichts für schwache Nerven" hält der Ehebrecher unumwunden fest und versucht sich damit, aus dieser vertrackten und konfliktuösen Gemengelage zu lavrieren. Wie er sich Ausreden und Argumente zurechtschneidert, so tut, als ob er gar nicht konnte, die Lust ihn übermannt hat - das zu lesen, ist schon eine Komödie für sich!

Aber lenken wir den Blick einmal weg von den Charakteren, die im Werk ihren Auftritt haben und ziehen den Vorhang des Humors und der Spitzfindigkeiten zur Seite. Dann entdeckt man die Beschäftigung mit ganz ernsthaften Themen und Fragestellungen und muss anerkennen, dass Schlosser diese auf ganz raffinierte Weise verpackt. Warum kann man dieses Werk nicht auch als Plädoyer für den Bestand der Ehe, für den Bund zweier Menschen, betrachten? Welchen Wert hat die Ehe in heutiger Zeit noch? Was ist ihr Fundament? Für die Gemeinschaft und Zweisamkeit, für das Versprechen, gemeinsam durch gute wie schlechte Zeiten zu gehen - anstatt alles schnell hinzuwerfen, aufzugeben und sich dem nächsten Abenteuer zu verschreiben.

Man mag dem Autor hier eine traditionelle Weltanschauung unterstellen, aber sein Eintreten für ein eher zurückhaltendes Agieren der Jugend in Zeiten, in denen sich vieles auflöst, beliebig erscheint und gerade eine jüngere Generation nach Halt und Orientierung sucht, ist doch nachdenkenswert und gar nicht so verwegen. Wenn dafür plädiert wird, sich nicht in zu frühem Alter körperlich auf einen Partner einzulassen, mag das - aus Sicht der angesprochenen Zielgruppe - ein wenig antiquiert daherkommen, doch es mag die Andeutung eines richtigen Weges sein. Wer mit 18 schon alles ausprobiert hat, was erwartet der dann noch vom Leben, worin liegt der Reiz des Geheimnisses der Liebe in Zeiten von Plattformen, die flüchtigen oder schnellen Sex bewerben?

Wendelin Schlosser nimmt sich mit dem epischen Gedicht nicht nur einer Gattung an, die man heutzutage so nicht mehr häufig antrifft, sondern positioniert sich auch als kritischer Zeitgeist unter den Lyrikern. Man kannte ihn bereits aus früheren Veröffentlichungen als einer der Welt und ihren Gegebenheiten zugewandter Autor, aber in dieser neuen Veröffentlichung präsentiert er sich deutlicher als Kritiker und Mahner, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn ihm ein Anliegen persönlich wichtig ist. Er schwingt dabei keinesfalls die große Moralkeule, sondern zeigt lediglich auf, dass die Ehe keine kurzweilige "Mode" ist. Sie ist ein gegebenes Versprechen, das mit wechselseitiger Verantwortung getragen werden sollte. In guten Zeiten wie in holprigen und mühevollen Phasen des Miteinanders.

Deshalb meine Empfehlung für den "Ehebrecher": lesenswert!

Andreas Schneider
27.11.2017

 
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Das Buch:

Wendelin Schlosser: Der Ehebrecher

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2017
213 S., € 12,80
ISBN: 978-3-8372-2016-2

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