Medien & Gesellschaft

Ein taktischer Streifzug durch die Fußballgeschichte

Das Regelwerk des Fu?balls stellt allen Spielern, Trainern und Anh?ngern eine simple, aber bis heute ungel?ste Frage, n?mlich diejenige nach der optimalen taktischen Aufstellung der zehn Feldspieler einer Fu?ballmannschaft: Wie viele Spieler sollen Abwehraufgaben ?bernehmen, in welcher Formation soll der Spielaufbau vorangetrieben werden und wie sollen die Angriffs- und Vollstreckungsbem?hungen innerhalb der Mannschaft organisiert und verteilt werden? 

Wer die aktuellen Diskussionen um das F?r und Wider der beiden pr?ferierten Systeme 4-2-3-1 und 4-4-2 verfolgt, der wird sich ?ber die Anf?nge der Fu?ball-Taktik verwundert die Augen reiben. Im ausgehenden 19. Jahrhundert spielte man auf der britischen Insel gerne noch mit sieben St?rmern, da zu viel Augenmerk auf Verteidigungsarbeit unm?nnlich war und offensichtlich von Feigheit zeugte. Ausgehend von dieser Epoche nimmt Jonathan Wilson den Fu?ball-Fan mit auf eine begeisternde Reise durch die verschiedenen taktischen Systeme der letzten 130 Jahre. Dabei trifft man die gro?en Mannschaften und die Protagonisten dieser Formationen wieder und lernt die oftmals weniger ber?hmten T?ftler und Denker hinter den taktischen Erfindungen kennen. 

Als erste taktische Aufstellung ging die sogenannte "Schottische Furche" in die Geschichtsb?cher ein: Ein 2-3-5-System, in dem der Einsatz von lediglich f?nf St?rmern zun?chst noch skeptisch be?ugt wurde. Auf Basis dessen wurde sp?ter durch den Engl?nder Herbert Chapman das WM-System entwickelt, bei dem die Spieler ihre Positionen auf dem Spielfeld gem?? der beiden Buchstaben "W" und "M" einnahmen. ?ber das 4-2-4- und das 4-3-3-System hin zu den heute bevorzugten Systemen mit teilweise nur einem St?rmer ist klar die Tendenz zu erkennen, eine gr??ere Kompaktheit zu erlangen und gleichzeitig die Anzahl der vorzugsweise im Sturm agierenden Spieler zu reduzieren. Wilson gelingt es dabei, einen verst?ndlichen Plauderton anzuschlagen, der den Leser die taktischen Entwicklungen der Fu?ball-Historie einfach nachvollziehen l?sst. 

Jonathan Wilsons Buch erschien 2008 im englischen Original unter dem Titel "Inverting the Pyramid" und wurde in Gro?britannien nach Erscheinen als Sportbuch des Jahres gefeiert. Eine deutsche Ausgabe dieses grandiosen Geschichtsbuchs f?r Fu?ball-Fans wurde nun durch den G?ttinger Verlag Die Werkstatt auf den Weg gebracht. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe erkl?rt der deutsche Sport-Journalist und Autor zahlreicher Fu?ballb?cher Christoph Biermann, warum Deutschland trotz der gro?en Erfolge bei Welt- und Europameisterschaften in Bezug auf innovative taktische Ideen selten federf?hrend war. So gibt er f?r die sehr sp?te Abschaffung des Liberos in deutschen Mannschaften die Erkl?rung, dass schlie?lich das Erbe des weltbesten Liberos aller Zeiten, Franz Beckenbauers, zu schwer wog, um diese sakrosankte Position f?r eine schlichte Viererabwehrkette aufzugeben. 

Die "Revolutionen auf dem Rasen" werden durch zahlreiche begleitende Zeichnungen der mannschaftstaktischen Aufstellung sehr gut illustriert. Wilson legt als Engl?nder seinen Fokus nat?rlich schwerpunktm??ig auf die Vorg?nge auf der britischen Insel. Sehr gut beschreibt er dabei die historische Ignoranz vieler Briten bez?glich neuer Ideen vom Festland und ihren Standpunkt ob der angeblichen eigenen Vormachtstellung, die sp?testens 1953 nach dem 3:6-Debakel gegen Ungarn zu den Akten gelegt werden konnte. Dennoch l?sst er die f?r den Weltfu?ball au?erordentlich bedeutenden Entwicklungen in S?damerika und Osteuropa nicht au?en vor. Leider erh?lt aus hiesiger Sicht der deutsche Fu?ball nur wenig Raum im vorliegenden Buch. Und wenn einmal das Gespr?ch auf deutsche Mannschaften kommt, dann ist Wilsons Urteil meist kein gutes, was allerdings aus einer von taktischen Innovationen getriebenen Betrachtung durchaus verst?ndlich ist. 

Letztlich beschreibt Wilson sehr einleuchtend, warum die Entwicklung der Taktik im Fu?ball so und nicht anders von statten gegangen ist. Ein neues System brachte auf der einen Seite stets bestimmte Vorteile, die auf der anderen Seite aber von Kompromissen und einhergehenden Defiziten kompensiert wurden, worauf dann die Gegenantworten und nachfolgende systemische Neuerungen entsprechend abzielten. Wilson macht klar, dass das perfekte System noch nicht gefunden ist und wohl auch nie gefunden wird, da zu viele situationsbezogene Gegebenheiten die Wahl des richtigen Systems f?r eine bestimmte Mannschaft gegen einen bestimmten Gegner beeinflussen. "Revolutionen auf dem Rasen" l?sst den Fu?ball-Fan f?r viele Stunden in der Fu?ballgeschichte versinken und die Zeit vergessen. Doch naht leider irgendwann das Ende des Buchs, obgleich der Leser noch viel l?nger in epische Diskussionen um gro?e Mannschaften und ihre taktischen Ausrichtungen und Vorz?ge h?tte einbezogen sein wollen. 

Christoph Mahnel 
02.05.2011

 
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Das Buch:

Jonathan Wilson: Revolutionen auf dem Rasen. Eine Geschichte der Fußballtaktik. Aus dem Englischen von Markus Montz

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2011
464 S., € 19,90
ISBN: 978-3-89533-769-7

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