Medien & Gesellschaft

Historische Mordgeschichten

Wer tötete Hermann Schäfer in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1933 kurz nach der Machtergreifung durch die Nazis? Den leblosen Körper des 36-jährigen Frankfurters findet der Streckenläufer Arthur Prassler im frühen Morgengrauen unter der Isenburger Schneisenbrücke. Die polizeilichen Nachforschungen in den Jahren 1933 und 1934 wollen mehr vertuschen denn Wahrheit ans Licht bringen. Schließlich ist es opportun, jegliche Negativschlagzeilen über die prosperierenden Nationalsozialisten zu vermeiden. Auch die Wiederaufnahme der Nachforschungen nach Kriegsende führen letztlich zu keinem vor Gericht verwertbaren Ergebnis, obgleich sie die naheliegenden Zusammenhänge offensichtlich machen. Dennoch hat der Zweite Weltkrieg zu viele Zeugen, Spuren und Beweismaterial hinweggerafft, um die Drahtzieher knapp zwanzig Jahre später noch belangen zu können.

Eine "Rhein-Main Crime Stories"-Revue der ganz besonderen Art liefert Stephanie Zibell mit dem vorliegenden Buch: Neben dem "Mordfall Schäfer" präsentiert sie sechs weitere ausgewählte historische Mordfälle, die sich in den vergangenen Jahrhunderten im Rhein-Main-Gebiet zugetragen haben. Dabei verzichtet Zibell auf Boulevard-Geschichten wie den Mord an Rosemarie Nitribitt oder allseits bekannte Fälle wie die Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler. Das Besondere an Zibells Darstellung rührt in ihrer historischen Recherche rund um die vorliegenden Fälle. Neben dem eigentlichen Mordfall bezieht sie gekonnt die zeitgeschichtlichen Aspekte in die Rahmenhandlung mit ein.

Während der "Mordfall Schäfer" in der Machart des Erfolgsromans "Tannöd" als eine Aneinanderreihung von Zeugenaussagen konzipiert ist und etwa einhundert Seiten einnimmt, wird den anderen Fällen deutlich weniger Platz eingeräumt. Dafür werden sie in einem Guss als spannungsgeladener Bericht über die Geschehnisse präsentiert. Der Mord an dem Sodener Dienstmädchen Jette Weyershäuser erregte Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso die Gemüter wie der Mord am Revierförster Orlopp durch einen Wilderer in den Tagen des Ersten Weltkriegs. Der zeitlich gesehen frischeste Fall behandelt den Mord an dem Wiesbadener Michael Körppen, dagegen liegt die Mordsache des Abts Werner im Kloster Eberbach schon siebeneinhalb Jahrhunderte zurück.

Den Leser erwartet ein Ritt durch die vergangenen Jahrhunderte, garniert mit Mordfällen, die heutzutage bei anhaltender Nicht-Aufklärung sicherlich Einzug in die Fernsehsendung "Aktenzeichen XY" gefunden hätten. Mehr als interessant ist die Beobachtung, dass aber bereits zu früheren Zeiten selbst die geschicktesten Mörder noch ihren Meister fanden, und dies ganz ohne DNA-Analyse oder sonstige Errungenschaften der hochentwickelten Kriminologie. Letztlich waren es damals wie auch heute immer noch Beharrlichkeit der ermittelnden Beamten oder Fehltritte der allzu selbstsicheren Täter, die die Wahrheit ans Licht treten ließen, obgleich auch manches Mal Kommissar Zufall ein wenig mithelfen musste.

Stephanie Zibell ist mit dem vorliegenden Buch über historische Mordfälle im Rhein-Main-Gebiet sowohl eine spannende als auch zeitgeschichtlich hochinteressante Zusammenstellung gelungen. "Gemeuchelt! Mörder und Ermordete in Rhein-Main" räumt radikal mit dem romantisch verklärten Vorurteil auf, dass früher alles besser gewesen sei. Der Einsatz der Ellenbogen und weit darüber hinaus gehender Mittel sowie Mord aus niederen Beweggründen sind seit jeher weit verbreitet und beileibe kein neuzeitliches Phänomen. Dem Societäts Verlag sei dringend empfohlen, Frau Zibell ein wenig zu drängen, ihre historischen Recherchen noch ein wenig auszudehnen, denn dieses gelungene Machwerk schreit förmlich nach einer Fortsetzung.

Christoph Mahnel
20.12.2010

 
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Das Buch:

Stephanie Zibell: Gemeuchelt! Mörder und Ermordete in Rhein-Main

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Frankfurt: Societäts Verlag 2010
231 S., € 12,80
ISBN 978-3-797-31220-4

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