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Einstimmung aufs Sommermärchen 2.0

Sie war eine wirklich schwere Geburt, die Fußball-Europameisterschaft. Bereits seit 1930 liefen auf globaler Ebene Fußball-Weltmeisterschaften nach einem zugegebenermaßen schleppenden Beginn spätestens ab den fünfziger Jahren auf Hochtouren. Kontinentale Meisterschaften wie die Copa América datieren zurück ins Jahr 1916, sogar der Afrika-Cup wurde 1957 erstmals ausgetragen, während man sich in Europa nicht durchringen konnte oder wollte, eine Fußball-Europameisterschaft ins Leben zu rufen. Die Premierenveranstaltung im Jahre 1960 glänzte dann vor allem durch die Abwesenheit vieler großer Fußballnationen, der Deutsche Fußball-Bund schickte gar erst zur dritten Austragung seine Mannen ins Rennen. Dies gerät unter dem Eindruck, dass heutzutage die Fußball-Europameisterschaft als das hochkarätigste Fußballturnier im internationalen Kalender gilt und sich allerhöchster Beliebtheit erfreut, leicht in Vergessenheit.

Im kommenden Sommer steht die 17. Austragung einer Fußball-Europameisterschaft an, und dies zum zweiten Mal in ihrer Geschichte in Deutschland. Erinnerungen werden dabei natürlich wach an den Sommer 2006 und die damalige Fußball-Weltmeisterschaft, die mit einer nie dagewesenen Euphorie in Deutschland und mit reichlich schönem Wetter glänzte. Vier Wochen, die auch fast zwanzig Jahre danach zu einem Lächeln im Gesicht führen und als "Sommermärchen" in die Geschichtsbücher Eingang fanden. Die Vorzeichen waren damals bezüglich eines möglichen Erfolgs der deutschen Mannschaft mindestens genauso düster wie im Hier und Jetzt, so dass trotz übler Kicks der Nagelsmänner die Hoffnung lebt, Geschichte zu wiederholen und in Deutschland ein "Sommermärchen 2.0" erleben zu dürfen.

Zur Einstimmung auf dieses fußballerische Großereignis hat Dietrich Schulze-Marmeling sein neuestes Werk auf den Markt gebracht: "Giganten - Die größten EM-Spiele aller Zeiten" lautet der Titel seines "Best-Of" der bisherigen Fußball-Europameisterschaften. Doch wirft auch er zunächst einen Blick auf die trägen Anfänge und würdigt dabei Hugo Meisl, der als Trainer der österreichischen Nationalmannschaft zwischen den beiden Weltkriegen das "Wunderteam" verantwortete und als der Pionier des paneuropäischen Fußballgedankens gilt. Den Hauptteil des Buchs bilden die 16 bisherigen Endturniere um die europäische Krone. Schulze-Marmeling hat sich dafür aus jedem Turnier eine oder zwei Partien herausgepickt, die er einer näheren Betrachtung zuführt. Unter der Rubrik "kurz & bündig" hat er zu jedem Turnier statistische Informationen komprimiert und zahlreiche Anekdoten rund um das jeweilige Championat herausgekramt.

Wer bereits in den Genuss der allesamt hochwertigen Bücher von Dietrich Schulze-Marmeling gekommen ist, weiß genau, was ihn auch hier erwartet: Präzision, Detailkenntnis und die Liebe zum Fußball prägen seine Texte. Dabei gelingt es dem Autor ganz hervorragend, die Emotionen zu einzelnen Begegnungen wiederaufleben zu lassen. Taucht man beispielsweise in die Ausführungen zum Halbfinale der EURO 1996 zwischen England und Deutschland im alten Wembley-Stadion ein, bilden sich noch in der ersten Halbzeit erste feuchte Handinnenflächen. Erst nachdem Andy Möller den entscheidenden Elfer eingenetzt hat, kann der erhöhte Herzschlag wieder runtergefahren werden. Aber auch die Chancenlosigkeit der Deutschen gegen die Spanier im EM-Finale 2008 von Wien wird aufs Neuerliche deutlich, so dass sich über 15 Jahre danach beim Lesen erneut Hilflosigkeit breit macht.

So wird jeder Fußballfan im vorliegenden Buch seine Lieblingsstellen finden und garantiert viel dazu lernen. In den ersten Kapiteln begegnet man noch Lew Jaschin und Bobby Moore, schließlich fängt Günter Netzer an, aus der Tiefe des Raumes zu zaubern, doch irgendwann ist es mit der Herrlichkeit der Deutschen bei Fußball-Europameisterschaften leider vorbei. Nach dem letzten Triumph vor 28 Jahren waren die Turniere aus deutscher Sicht, abgesehen von einigen wenigen positiven Ausschlägen, eher trist und traurig. Möge dieses Buch doch ein Mutmacher dafür sein, dass dieses tiefe Tal durchschritten ist und im kommenden Sommer ein neues Heldenepos geschrieben wird. Überraschungen durch scheinbar chancenlose Teams wie die Griechen oder Portugiesen hat es bei Europameisterschaften schließlich schon zuhauf gegeben.

Christoph Mahnel
12.02.2024

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