Biographie
Der Querschnitt eines Polit-Denkmals und was dabei so alles sichtbar wird
Ein Berufspolitiker ist in Deutschland nicht gerade hoch angesehen, ganz gleich, ob nun zurecht oder unrecht. Trotzdem hat es ein prominenter Vertreter in einer Fernsehumfrage geschafft, sich von den Zuschauern auf das Siegerpodest des wichtigsten Deutschen bef?rdern zu lassen: gemeint ist Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler und Mitbegr?nder der Bundesrepublik Deutschland.
Grund genug, nunmehr fast sechzig Jahre nach seinem Amtsantritt die innen- und au?enpolitischen Leistungen, den politischen Charakter, aber auch die Schattenseiten Adenauers aus heutiger Sicht zu analysieren. Der Politologe Hans-Peter Schwarz hat dies in Form einer Querschnitt-Analyse der Person Adenauers bew?ltigt und diese aktuelle Untersuchung seiner eigenen, gro?en Adenauer-Biographie aus den achtziger Jahren an die Seite gestellt.
Das Buch "Anmerkungen zu Adenauer" ist keine Biographie, die chronologisch einzelne Lebensstationen des geb?rtigen K?lners und sp?teren Oberb?rgermeisters der Rheinmetropole beschreibt, sondern eine in Essayform geschriebene Konzentration auf die wichtigsten politischen Entscheidungen und Konzepte sowie auf Adenauers Wesensz?ge, Vorbilder und Verhaltensweisen. Der Autor vermeidet es, sich nur auf Adenauers Leistungen und Handlungsweisen als Bundeskanzler zu konzentrieren. So wird beispielsweise deutlich, mit welcher politischer Schl?ue (im positiven wie im negativen Sinn) und Organisationsst?rke es der schon ?ber siebzig Jahre alte Politveteran geschafft hat, aus verschiedenen regionalen Wurzeln der Nachkriegs-CDU eine schlagkr?ftige "Volkspartei" zu gestalten, die dem ?berkonfessionellen Gedanken einer Partei f?r Katholiken und Protestanten Rechnung trug.
Adenauer war kein Kompromi?politiker und der Gedanke an eine gro?e, staatstragende Koalition mit der SPD unter Kurt Schumacher blieb ihm v?llig fremd. Mit Adenauers Namen ist untrennbar die strikte Westbindung an die USA, Frankreich und England bzw. deren B?ndnisse sowie ein strikter Anti-Kommunismus verbunden. Warum wurde gerade dieses politische Konzept in der Person Adenauer mit solcher Vehemenz durchgef?hrt? Dar?ber gibt dieses Buch verst?ndlich und nachvollziehbar Auskunft. Die zeitgen?ssischen Kritiker Adenauers, unter ihnen der langj?hrige "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein oder der Historiker Golo Mann, kommen ebenfalls zu Wort und werden in ihren Aussagen und Beurteilungen vom Autor bewertet. Interessant ist ein von Hans-Peter Schwarz gezogener Vergleich mit verschiedenen deutschen Kanzlern des Kaiserreichs sowie der Weimarer Republik, die Adenauer selbst erlebt hat und die ihn mehr oder weniger beeinflu?ten: die Spanne reicht von Bismarck bis zum gl?cklosen Zentrumspolitiker Heinrich Br?ning.
Hans-Peter Schwarz vergi?t ferner nicht den wichtigen Hinweis, da? ein Politiker mit einem solchen Gesp?r f?r die Macht und den Erhalt dieser gelegentlich einen Drahtseilakt vollf?hrt: Konrad Adenauer sei der erste Protagonist der sogenannten "Kanzlerdemokratie" und "Kanzlerpartei", bei der Staat und Regierungspartei schon mal hinter dem einflu?reichen Kanzler und Parteichef verschwinden k?nnen. Da? in diesem Buch keine Denkmalpflege praktiziert werden soll, ist sichtlich sp?rbar: Der distanzierte und gegen?ber politischen Mitstreitern wohl sehr mi?trauische Charakter Konrad Adenauers tritt zutage. Nicht unber?cksichtigt bleiben ebenso die Mi?t?ne zum Ende der vierzehnj?hrigen Amtszeit, als die Einf?hrung eines regierungstreuen "Staatsfernsehsenders" vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte und die parteiinternen Kritiker sich nicht mehr ruhig stellen lie?en.
Licht und Schatten pr?gen die gro?en demokratischen Gestalter unserer Zeit und der Zeitgeschichte ? gleich, ob es sich dabei um konservative, sozialdemokratische oder liberale Pers?nlichkeiten handelt. Hans-Peter Schwarz ist es gelungen, dem Leser Konrad Adenauer in all seinen deutlichen und weniger deutlich zutage tretenden Pers?nlichkeits-Facetten aufschlu?reich n?herzubringen.
Hagen Stoll
04.07.2007