Glossen & Berichte

Neuordnung der Welt und Finanzkrise beschäftigen Sachbuchautoren

Hamburg (dpa) - Die Verschiebungen der globalen Machtordnung sind das große Thema der Sachbücher dieses Frühjahrs. Insbesondere die Bedingungen in einer post-amerikanischen Ära und die Folgen der Weltfinanzkrise beschäftigen Sachbuchautoren wie kaum jemals zuvor. Auch an den Fall der Mauer vor zwanzig Jahren und den Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 erinnern zahlreiche neue Werke. Daneben fällt das Angebot an anderen eher unterhaltsamen Titeln, sieht man von einer Reihe bemerkenswerter Biografien ab, vergleichsweise spärlich aus.   

Relativ schnell hat der Buchmarkt auf das Finanzdesaster in aller Welt reagiert: Den Turbokapitalismus erklärt Peter Bofinger, einer der fünf «Wirtschaftsweisen» in seinem Buch «Ist der Markt noch zu retten?» für tot. Der Volkswirt fordert in der Tradition Ludwig Erhards mehr staatliche Intervention, um die Kernschmelze des globalen Finanzwesens zu verhindern. Der Broker Dirk Müller, besser bekannt als «Mr. Dax», schildert in seinem Buch «Crashkurs. Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance?» die Hintergründe und Folgen des Einbruchs der Finanzmärkte. Der Schweizer Journalist und Kommunikationsberater im Finanzwesen René Zeyer plaudert in «Bank - Banker - Bankrott» aus dem Nähkästchen. Seine «Storys aus der Welt der Abzocker» geben ironische, manchmal auch sarkastische Einblicke in die Mechanismen der Gier und Gaunerei von Anlageberatern.

Seine beiden Landsmänner Viktor Parma und Werner Vontobel weisen in ihrer Analyse «Schurkenstaat Schweiz?» nach, «wie sich der größte Bankenstaat der Welt korrumpiert und andere Länder destabilisiert». Die beiden Wirtschaftsjournalisten entlarven aber nicht nur die Schweiz als Komplizin globaler Steuerhinterzieher, sondern bieten auch Wege aus dem Dilemma. «Die Spur des Geldes» verfolgen Hartmut M.Volz und Thomas Rommerskirchen am Beispiel des Unternehmens Siemens.Ihre Aufarbeitung des Schmiergeldskandals liest sich wie ein Wirtschaftskrimi um systematische Korruption, die bei weitem nicht nur bedauerliche Einzelfälle einschließt.

«Das Ende der westlichen Dominanz» prophezeit Kishore Mahbubani in seinem Buch «Die Rückkehr Asiens». Der in Singapur lehrende Politologe verfolgt darin den Weg Chinas und Indiens an die wirtschaftliche Weltspitze, der das politische Gewicht der beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde noch erhöhen wird. Auch der in Bombay geborene Fareed Zakaria, Chefredakteur von «Newsweek International», beobachtet den «Aufstieg der Anderen» und den Beginn des post-amerikanischen Zeitalters, ohne darin zwangsläufig eine Gefahr zu sehen.   

Auch der deutsche Journalist Nikolas Busse hat sich mit der «Entmachtung des Westens» beschäftigt und warnt vor einem «Rückzug in die Wagenburg». Vielmehr solle der Westen, Europa insbesondere, für seine Interessen und Werte kämpfen. Der langjährige Diplomat Volker Seitz richtet das Augenmerk auf Afrika und warnt in seinem Buch «Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann» davor, korrupte Eliten und Regierungen weiterhin mit Geld indirekt zu stützen. Vielmehr müssten kompetente und unbestechliche Staatsapparate aufgebaut werden, fordert der Experte.  

70 Jahre nach Hitlers Überfall auf Polen erzählt der Amerikaner Nicholson Baker davon, «Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete». Sein Werk «Menschrauch» ist eine Zusammensetzung aus historischen Nachrichten, Anekdoten und Kommentaren, die eine neue Sicht auf die Vergangenheit wirft. Werner Biermann beschreibt in seiner historischen Reportage «Sommer 39» nicht nur Großereignisse, sondern er verwebt die Politik mit persönlichen Schicksalen am Vorabend der Katastrophe. Hans-Ulrich Wehlers Darstellung des «Nationalsozialismus» und seiner - so der Untertitel, «Bewegung - Führerschaft - Verbrechen» ist nun in einem neuen Band noch einmal zusammengefasst. Vor allem seine Interpretation Adolf Hitlers als treibende Kraft auf den Gang der Ereignisse sorgt für Zündstoff. Der emeritierte Bielefelder Historiker gilt damit ebenso wie mit seiner «Deutschen Gesellschaftsgeschichte 1700-1991» als maßgebend. In seiner Darstellung «Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen» schildert Jochen Böhler den Auftakt zum Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive von Militärs und Zivilisten in Deutschland und Polen. Nach den Erkenntnissen des Historikers begann der Vernichtungskrieg schon damals und nicht erst 1941 mit dem Russlandfeldzug.  

Zwanzig Jahre nach ihrem Zerfall stellt Frederick Taylor «Die Mauer» und ihre Geschichte in den Mittelpunkt seiner Monografie. Er sieht das am 13. August 1961 errichtete und am 9. November 1989 überwundene Bauwerk nicht nur als Symbol für die Teilung Deutschlands, sondern auch als Fanal der Unmenschlichkeit. Aus der Distanz zweier Jahrzehnte interpretiert Wolfgang Schuller «Die deutsche Revolution 1989»: Als einzige gelungene Revolution in Deutschland sind die Ereignisse in ihrer Gewaltlosigkeit einzigartig in Europa. Schullers Buch beginnt mit den ersten Demonstrationen in der DDR-Provinz und endet mit der staatlichen Vereinigung am 3.Oktober 1990.   Der emeritierte Oxford-Politologe Archie Brown hat sich nichts Geringeres als den «Aufstieg und Fall des Kommunismus» vorgenommen. Das fundierte Werk spannt den Bogen von der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Karl Max seine Ideen niederschrieb, bis hin zum Niedergang der Ideologie als Machtfaktor der Weltpolitik in den 1980er Jahren.  

Das heutige Leben in Deutschland beleuchten Sascha Adamek und Kim Otto in ihrem Buch «Schön reich - Steuern zahlen nur die anderen». Darin malen die beiden Journalisten ein überzeugendes Bild von Deutschland als Steueroase für Millionäre, denen lasche Gesetze und zu wenig Personal in den Finanzämtern das Leben versüßen. Wie es sich in der deutschen Unterschicht leben lässt, haben die Journalisten Julia Friedrichs, Eva Müller und Boris Baumholt angeschaut. Ihre deprimierenden Erfahrungen über die soziale Schieflage in Deutschland und Bevölkerungsschichten, die nicht mehr am Leben in diesem Land teilnehmen, sind in dem Buch «Deutschland dritter Klasse» zusammengetragen.

Dem ungebrochenen Interesse der Leser an Lebensgeschichten kommen eine Fülle neuer Biografien entgegen: Gesine Schwan, Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, hat sich mit Christian Geyer unterhalten und einiges über «das Persönliche und das Politische» preisgegeben. Das Buch «Gesine Schwan. Woraus wir leben» offenbart eine Wissenschaftlerin und intelligente Frau, für die Politik stets etwas ist, was jeden angeht. Dirk Kurbjuweit schildert in «Angela Merkel - Die Kanzlerin für alle?», wie sich die Regierungschefin auf die kommende Bundestagswahl vorbereitet. Mit intimen Kenntnissen der Berliner Politikszene und analytischer Schärfe würzt der Leiter des «Spiegel»-Hauptstadtbüros seine Darstellung.

Inge Jens hat als Zeitzeugin, Germanistin, Herausgeberin der Thomas Mann-Tagebücher und Frau des bekannten Tübinger Rhetorikers Walter Jens einiges zu erzählen. Ihre «Unvollständigen Erinnerungen» geben Aufschluss über ihr Friedensengagement, ihre wissenschaftliche Arbeit, die Begegnung mit prominenten Zeitgenossen und über ihr Leben an der Seite eines bekannten - nunmehr demenzkranken Mannes.

Zum 150. Todestag von Alexander von Humboldt am 6. Mai legt Ottmar Ette in seiner Biografie «Alexander von Humboldt und die Globalisierung» die Aktualität in den Ideen des Naturforschers frei. Als geistiger Wegbereiter der Globalisierung sei von Humboldt keineswegs zufällig neu entdeckt worden, meint Ette. Frank Holl hat eigene Texte des Forschers ausgewählt, mit biografischen Einschüben versehen und unter dem Titel «Alexander von Humboldt. Mein vielbewegtes Leben» herausgegeben. Der illustrierte Prachtband über «eine der merkwürdigsten Gestalten, die es je gegeben hat» (Wilhelm von Humboldt) wird nicht nur Fans des Universalgelehrten überzeugen.

Als «Geck, Gaukler und Genie» sieht Fritz J. Raddatz das Objekt seiner Studien - den nach Goethe weltweit meistgelesenen deutschsprachigen Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926). Der bekannte Publizist entwirft in seiner Biografie «Rilke. Überzähliges Dasein» das Bild eines hochsensiblen Menschen, dem Frauen ebenso wie die Welt als Ganzes stets Feind geblieben sind, auch wenn er sie aus der Ferne vergötterte. Nach dem «Jesus»-Buch von Papst Benedikt XVI. reißt die Beschäftigung mit dem Gottessohn nicht ab: Der Journalist Peter Seewald folgt in seinem Buch «Jesus Christus» den Spuren des Galiläers und erzählt dessen Lebensgeschichte frei von ideologischen Verbrämungen. Auch der bekannte Regisseur und Autor Paul Verhoeven widmet sich dem Leben des Erlösers. Seine Biografie «Jesus» will er als «Die Geschichte eines Menschen» verstanden wissen. Jenseits der kirchlichen Mythen entdeckt Verhoeven einen Revolutionär, der die Grundlagen für einen neuen Glauben im Geist des Widerstands gelegt hat.

Sascha Adamek, Kim Otto: Schön reich - Steuern zahlen die anderen. Wie eine ungerechte Politik den Vermögenden das Leben versüßt
Heyne Verlag, München
240 S., Euro  17,95
ISBN 978-3-4531-6287-7

Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete
Rowohlt Verlag, Reinbek
576 S., Euro 24,90
ISBN 978-3-4980-0661-7

Werner Biermann: Sommer 39
Rowohlt Verlag, Berlin
272 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-8713-4627-9

Jochen Böhler: Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen
Eichborn Verlag, Frankfurt
256 S. m. Abb., Euro 19,95
ISBN 978-3-8218-5706-0

Peter Bofinger: Ist der Markt noch zu retten? Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen
Econ Verlag, Berlin
190 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-4303-0043-8

Archie Brown: Aufstieg und Fall des Kommunismus
Propyläen Verlag, München
800 S., Euro 29,90
ISBN 978-3-5490-7293-6

Nikolas Busse: Entmachtung des Westens. Die neue Ordnung der Welt
Propyläen Verlag, München
240 S., Euro 22,90
ISBN 978-3-5490-7333-9

Ottmar Ette: Alexander von Humboldt und die Globalisierung
Insel Verlag, Frankfurt
300 S., Euro 24,80
ISBN 978-3-4581-7434-9

Julia Friedrichs u. a.: Deutschland dritter Klasse. Leben in der Unterschicht
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg
220 S., Euro 14,95
ISBN 978-3-455-50112-4

Frank Holl (Hg.): Alexander von Humboldt: Mein vielbewegtes Leben. Der Forscher über sich und seine Werke
Eichborn Verlag, Frankfurt
240 S. m. Abb., Euro 29,95
ISBN 978-3-8218-5847-0

Inge Jens: Unvollständige Erinnerungen
Rowohlt Verlag, Reinbek
240 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-4980-3233-3

Dirk Kurbjuweit: Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle?
Hanser Verlag, München
160 S., Euro 16,90
ISBN 978-3-4462-0743-1

Kishore Mahbubani: Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz
Propyläen Verlag, München
300 S., Euro 22,90
ISBN 978-3-5490-7351-3

Dirk Müller: Crashkurs. Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance?
Droemer Verlag, München
256 S., Euro 18,00
ISBN 978-3-4262-7506-1

Viktor Parma, Werner Vontobel: Schurkenstaat Schweiz?
Bertelsmann Verlag, München
288 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-5700-1083-9

Fritz. J. Raddatz: Rilke. Überzähliges Dasein
Arche Verlag, Hamburg
260 S., Euro 22,00
ISBN 978-3-7160-2606-9

Wolfgang Schuller: Die deutsche Revolution 1989
Rowohlt Verlag, Berlin
320 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-8713-4573-9

Gesine Schwan: Woraus wir leben. Das Persönliche und das Politische
Piper Verlag, München
272 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-4920-5278-8

Peter Seewald: Jesus Christus
Pattloch Verlag, München
384 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-6290-2192-2

Frederick Taylor: Die Mauer. 13. August 1961 bis 9. November 1989
Siedler Verlag, München
650 S., Euro 29,95
ISBN 978-3-8868-0882-3

Paul Verhoeven: Jesus. Die Geschichte eines Menschen
Pendo Verlag, München
304 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-8661-2225-3

Hartmut M. Volz, Thomas Rommerskirchen: Die Spur des Geldes. Der Fall des Hauses Siemens
Aufbau Verlag, Berlin
250 S., Euro 16,95
ISBN 978-3-3510-2701-8

Hans-Ulrich Wehler: Der Nationalsozialismus. Bewegung - Führerschaft - Verbrechen
Beck Verlag, München
320 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-4065-8486-2

Fareed Zakaria: Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter
Siedler Verlag, München
350 S., Euro 22,95
ISBN 978-3-8868-0917-2

René Zeyer: Bank - Banker - Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker
Verlag Orell Füssli, Zürich
192 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-2800-5341-6

 
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