Buch des Monats - Februar 2009
100 Jahre altes Familiengeheimnis in Cornwall aufgedeckt
Maryborough, 1913. Am Hafen der australischen Küstenstadt steht einsam und verlassen ein vierjähriges Mädchen, das scheinbar ohne Eltern oder Begleitung mit dem großen Flüchtlingsschiff aus Europa den Ozean überquert hat. Der Hafenarbeiter Hamish nimmt sich ihrer an und versucht, etwas über ihre Herkunft herauszufinden. Ein schwieriges Unterfangen, denn das Mädchen hat bis auf einen kleinen weißen Koffer nichts bei sich. Noch dazu hat sie bei einem Sturz ihr Gedächtnis verloren und kann sich nicht an ihren Namen erinnern. Hamish und seine Frau, die bisher kinderlos waren, nehmen das Mädchen bei sich auf und geben ihr den Namen Nell.
Dies ist der Ausgangspunkt für die neue Familiensaga der mittlerweile in vielen Ländern gefeierten, jungen australischen Autorin Kate Morton. Zu ihrem zweiten Roman „Der verborgene Garten“ – ihr Debüt „Das geheime Spiel“ wurde in 19 Sprachen übersetzt – hat sie sich von ihrer eigenen Vergangenheit inspirieren lassen: Ihre Großmutter war genau wie Nell ein Findelkind.
Nell erfährt erst an ihrem 21. Geburtstag, dass Hamish und Lil nicht ihre biologischen Eltern sind. Ab diesem Zeitpunkt ist für die junge Frau nichts mehr, wie es einmal war. Sie versucht, die Spuren in die Vergangenheit zurückzuverfolgen und gelangt auf ein Anwesen im englischen Cornwall: Blackhurst Manor. Ihre Nachforschungen bringen sie aber nicht ans Ziel. Als sie im Alter von 95 Jahren stirbt, hinterlässt sie ihrer Enkelin Cassandra ein mehr als rätselhaftes Erbe. Fast 100 Jahre nachdem ihre fatale Familiengeschichte am anderen Ende der Welt ihren Lauf genommen hat, begibt sich auch Cassandra nach Cornwall.
Im rauen Klima der englischen Küstenregion kommt die junge Australierin langsam aber sicher hinter das Geheimnis, das nicht nur das Leben ihrer Großmutter, sondern auch ihres geprägt hat. Anhand von alten Tagebüchern und Aufzeichnungen und mit der Hilfe der Dorfbewohner versucht Cassandra zu erforschen, warum es auf Blackhurst Manor ein durch ein Labyrinth und eine hohe Mauer gut verstecktes Cottage gibt, oder warum die Cousinen Eliza und Rose Mountrachet, die einst beste Freundinnen waren, seit der Geburt von Roses Tochter keinen Kontakt mehr zueinander haben. Cassandra findet nach und nach Antworten auf ihre Fragen und findet nicht nur Frieden, was ihre und Nells Vergangenheit betrifft, sondern auch ihr momentanes Leben – von Trauer gezeichnet seit dem Unfall, bei dem ihr Mann und ihr kleiner Sohn ums Leben kamen – wendet sich zum Besseren.
Mit „Der verborgene Garten“ ist Morton eine Familiensaga gelungen, die zu jedem Zeitpunkt der Geschichte spannend ist – nicht allein dadurch, dass die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Epochen immer wieder die Aufmerksamkeit des Lesers fordern. Kate Morton hat einen komplexen, aber gut durchdachten Plot geschaffen, dessen einzelne Erzählstränge zunächst vielfältig und ungeordnet scheinen, sich aber letztendlich – genau wie die Geschichte selbst – entwirren und sich auf ein und dieselbe Zielgerade zu bewegen.
Sabine Mahnel
02.02.2009