Buch des Monats - Juli 2008
Patchwork-Familie und zwei Tote: Ingrid Nolls neuester "Fall"
Schätzungen zufolge ist mindestens jedes zehnte Kind ein Kuckuckskind, d.h. es wird nicht von seinem biologischen Vater aufgezogen, sondern einem anderen, vermeintlichen Vater von der Mutter "untergeschoben", ob bewusst oder unbewusst. Angesichts der steigenden Anzahl von Patchwork-Familien in der heutigen Zeit ist dies ein aktuelles Thema, dachte sich wohl auch Ingrid Noll, eine der bekanntesten deutschen Krimi-Autorinnen, und schreibt in ihrem neuen Buch über drei Vaterschaftstests, einen Schwangerschaftstest und zwei Tote.
Die fast 40-jährige Anja, Deutsch- und Französischlehrerin, hatte sich ihr Leben anders vorgestellt. Sie steht, nachdem sie ihren Gatten in flagranti mit einer Anderen erwischt hat, vor den Scherben ihrer Ehe und ihres Lebenstraums. Der Traum vom eigenen Haus, einem treuen Ehemann und einem Kind ist vorerst geplatzt. Sie verkriecht sich in eine schäbige Mietswohnung und löst zur Beruhigung Sudokus. Als dann ihre Freundin und Kollegin Birgit schwanger wird, hat sie den begründeten Verdacht, dass ihr eigener Noch-Ehemann der Vater sein könnte. Der Verdacht nagt so sehr an ihr, dass sie Birgits Mann zu einem Vaterschaftstest überredet. Anja ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welch eine Lawine von Ereignissen sie damit lostreten würde, und dass Birgits Baby am Ende in ihren Armen und den Armen ihres neuen Partners – ihrem Vermieter Patrick – landen würde.
Auch wenn Ingrid Noll in "Kuckuckskind" zwei Menschen sterben lässt, ist der Krimi-Anteil des Buches sehr gering. Es geht vielmehr um die psychologischen und zwischenmenschlichen Nöte der Menschen und wie sie damit umgehen. Noll greift gesellschaftliche Spannungen auf, thematisiert unerfüllte Kinderwünsche und das Ticken der biologischen Uhr genauso wie die moderne Patchwork-Familie.
Sabine Mahnel
07.07.2008