Wissenschaften
Ein Lexikon über die Kunst des 20. Jahrhunderts
Der französischstämmige Begriff "Avantgarde" stammt ursprünglich aus dem Militärwesen und bedeutet übersetzt "Vorhut" - gemeint ist derjenige Truppenteil, der vor dem eigentlichen Heer ausrückt und das feindliche Gebiet sondiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Bezeichnung erstmals für Strömungen verwendet, die eine Neuartigkeit, eine Art Fortschritt in der Kunstszene markierten. Das Besondere an der Avantgarde ist der weite Erfassungsbereich - sie umfasst die bildenden Künste, Literatur, Musik, Architektur, (Mode-)Design und die darstellenden Künste gleichermaßen. Bei dieser Komplexität ist es durchaus von Vorteil, ein wissenschaftlich fundiertes Nachschlagewerk zu besitzen. Ein solches ist "Metzler Lexikon Avantgarde", das die Herausgeber Hubert van den Berg und Walter Fähnders zusammen mit einem 80-köpfigen Autorenteam verfasst haben.
Bevor der interessierte Kunstlaie anhand einzelner Artikel sein Wissen bereichern kann, bildet die Einleitung der Herausgeber ein solides Fundament für den vielschichtigen Begriff der Avantgarde. Die Grundlagen zum Verständnis der folgenden Artikel werden auf 20 Seiten gelegt. Mit einem Rundumblick gehen die Herausgeber auf die Problematik dieses Begriffes im Laufe des 20. Jahrhunderts ein. So bezeichnete sich in den Anfängen der Avantgarde-Bewegung kein Künstler als Avantgardist, vielmehr wurde ihm dieser Stempel nachträglich von "Kollegen" aufgedrückt. Während der Zeit des Dritten Reiches hingegen unterlagen die Avantgardisten einer Repression, die sie in ihrem freien künstlerischen Schaffen beeinflusste. Erst ab 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde mit der sogenannten "Neo-Avantgarde" endgültig eine neue Ära eingeläutet, deren Ursprung bereits Jahre zuvor in der "historischen Avantgarde" zu suchen ist. Die einzigartige Sonderstellung von Avantgarde zeigt sich bereits auf diesen Seiten.
Nach dieser ausführlichen Einleitung dringt der Rezipient zum Kernbereich des Lexikons vor. In rund 220 Artikeln findet der Kunstinteressierte alles, was man über Avantgarde als internationale Erscheinung in allen Kunstrichtungen wissen möchte. Im Einzelnen können die Einträge grob in vier Gruppen eingeteilt werden, die das weite Feld der Avantgarde vollständig abdecken:
1. Lemmata zu einzelnen Avantgarde-Bewegungen wie beispielsweise Kubismus, Dadaismus, Expressionalismus oder Surrealismus
2. Lemmata zu den einzelnen Kunstgattungen Architektur, bildende Kunst, Design, Film, Fotografie, Literatur, Mode, Musik, Tanz, Theater, Typografie, und Zeitschriften, wobei auch vereinzelt auf Beziehungen und Verflechtungen zwischen den Gattungen eingegangen wird
3. Lemmata zu Kunstformen und Kategorien (z. B. Collage, Lautdichtung, Abstraktion, Gender und Postmoderne)
4. Lemmata zu einzelnen Ländern, Regionen und Sprachen (u. a. Belgien, Deutschland, Kanada, Kroatien, Russland, Türkei, USA, ...)
Die Artikel sind stets nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Nach einem einleitenden Satz, der die eigentliche Begriffserklärung beinhaltet, wird der entsprechende Begriff in seinem zeitlichen Verlauf betrachtet, sodass man als Rezipient eine Gesamtdarstellung erhält, die aufgrund ihrer Übersichtlichkeit das Verständnis erheblich erleichtert und auch interessierten Laien fundiertes Wissen vermittelt. Zur Vertiefung des jeweiligen Eintrages findet sich nach jedem Stichwort eine kurze Literaturliste, die zur weiteren Lektüre anregen soll. Schließlich möchte das Lexikon das Interesse an diesem Thema wecken, das der Rezipient in Eigenstudien intensivieren kann.
Das "Metzler Lexikon Avantgarde" steht anderen Lexika aus diesem (wissenschaftlichen) Verlagshaus in nichts nach. Mit dem fundierten Wissen von Experten auf diesem Gebiet wird der Rezipient in circa 220 Artikeln sowie einem ausführlichen Personenregister alles finden, was es zum Thema "Avantgarde" zu sagen gibt. Obwohl auf Querverweise zu anderen Artikeln größtenteils verzichtet wird, ist aufgrund des klaren Konzepts dieses Lexikons ein Zusammenhang zwischen den Kunstströmungen, -gattungen und -formen erkennbar, der sich selbst für "Nicht-Experten" erschließt. Die Herausgeber Hubert van den Berg und Walter Fähnders knüpfen auf hervorragende Weise an die Metzler-Lexikon-Tradition an: die Schaffung eines Werkes über ein weites Themengebiet, das den ersten Wissensdurst von Kunstinteressierten zu stillen vermag, ohne diese mit zu vielen Details zu verwirren. Demzufolge lohnt sich das vorliegende Buch für all jene, die ein besonderes Faible für die Kunst des 20. Jahrhunderts entwickelt haben und denen trotzdem ein grundiertes Wissen fehlt.
Susann Fleischer
14.09.2009