Hörbücher
Bücher, Zeitgeschichte und ein Familiengeheimnis
München, 1971. Nach dem Tod des Verlegers Konrad Pallandt wird Marie Ludwig von seinem Erben gebeten, die umfangreiche Bibliothek des Verlegers zu verkaufen. Marie macht bei der Sichtung der Bücher eine Entdeckung, die ihrem Kollegen Robert Steinfeld helfen könnte, das Geheimnis um seine Eltern zu entschlüsseln. Gemeinsam machen sie sich auf eine Reise, die sie nicht nur in viele Städte, allen voran Leipzig, Wien und Ostende, sondern auch zurück in die Zeit der Naziherrschaft führt.
Leipzig, 1933. Jakob Steinfeld, seines Zeichens Buchbinder und Besitzer eines Antiquariats, lebt und arbeitet in direkter Nachbarschaft zu der Verlegerfamilie Pallandt. Eines Tages betritt Juliana, Konrad Pallandts Tochter, sein Antiquariat und bittet Jakob, ein Buch für sie zu binden; ein Buch, das sie heimlich verfasst hat und von dem keiner wissen darf - schon gar nicht ihr Vater. Jakob lehnt diese Arbeit zunächst ab, da die Pallandts nicht gerade seine größten Freunde sind, doch schon bald bekommt er Zweifel und bereut es, dieser liebreizenden Frau ihren Wunsch abgeschlagen zu haben.
Leipzig, 1943. Die Bomben, die die Alliierten über vielen deutschen Großstädten abwerfen, zerstören auch weite Teile Leipzigs, u.a. auch das Graphische Viertel, in dem sowohl das Pallandt'sche Verlagshaus als auch Jakob Steinfelds Antiquariat stehen. Der zehnjährige Robert hat sein bisheriges Leben eingesperrt in einer Bibliothek verbracht, sein Wissen hat er aus Büchern. Eines Nachts, als die Bomben auch das Haus in Brand setzen, in dem er eingesperrt ist, rettet ihn der Bibliothekar des Hauses, Mercurio, aus den brennenden Trümmern seines Gefängnisses. Fortan fahren Mercurio und der Junge, der seine Eltern nicht kennt, durch das zerrüttete Deutschland - immer auf der Suche nach wertvollen Büchern, u.a. auch einem ganz bestimmten Buch.
Kai Meyer, seit fast 30 Jahren eine feste Größe auf dem deutschen und internationalen Buchmarkt und vor allem bekannt für seine phantastische Literatur ist, hat mit "Die Bücher, der Junge und die Nacht" - einem recht sperrigen Titel - eine Familiengeschichte auf drei Zeitebenen geschrieben. Der Roman ist so vieles: eine Huldigung an Bücher, ein zeitgeschichtlicher Roman und eine geheimnisumwobene Familiengeschichte. Diese Vielfalt prädestiniert die spannende Geschichte für eine breite Leserschaft.
Die leicht gekürzte Hörbuchfassung wird von einem dreiköpfigen Sprecherensemble vorgetragen - ein Sprecher für jede Zeitebene. So fällt es auch gar nicht schwer, sich immer in der jeweiligen Zeit zurechtzufinden. Meyer ist ein Meister der atmosphärischen Dichte, die ihm auch in "Die Bücher, der Junge und die Nacht" sehr gut gelungen ist. Man spürt die aufkommende Terrorherrschaft der Nazis 1933, die Zerstörung, die 1943 in Deutschland omnipräsent war, und das bedrückende DDR-Regime 1971, als Robert in seine Geburtsstadt Leipzig zurückkehrt, um das Geheimnis um seine Eltern zu lüften.
Die jeweilige Atmosphäre wird von den drei Sprechern Simon Jäger, Johann von Bülow und Maria Koschny glaubwürdig und meisterhaft transportiert. "Die Bücher, der Junge und die Nacht" ist ein Hörbuch, das man eigentlich gar nicht pausieren möchte, da man so wundervoll in eine ganz andere Welt abtauchen und mit den Figuren leiden und hoffen kann.
Sabine Mahnel
16.01.2023