Hörbücher
Ein Ohne-Trojan-Bentow
In einem Wald in der Nähe von Ulm macht eine ältere Dame zusammen mit ihrem Hund eine verstörende Entdeckung. Sie stoßen auf eine Frau, blutverschmiert und bekleidet mit einem roten Mantel. Auf die Frage, wer sie sei und was sie hier mache, kann diese nur ihren Namen und ihr Alter entgegnen. Alle weiteren Nachfragen muss sie mit einem Schulterzucken quittieren. Annie Friedmann, 30 Jahre alt, hat keine Ahnung, was sie in Ulm gemacht hat. Eigentlich bestreitet sie ihr Leben in Berlin, wo sie gerade mit ihrem neuen Freund Ben frischverliebt ein paar rosarote Wochen verbracht hat. Dieser ist nach Annies Rückkehr ebenso überrascht darüber, was seiner Freundin widerfahren ist, und begibt sich daher mit ihr nach Ulm, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Erinnerungsfetzen, die allmählich in Annies Gedächtnis Einzug halten, führen die beiden nach Blaubeuren zum Blautopf, einer Karstquelle am Rande der Schwäbischen Alb. Dort wird Annie in einer Pension wiedererkannt. Doch Annie und vor allem Ben sind sichtlich geschockt, als sie erfahren, dass Annie hier mit einem anderen Mann zugegen war und mit diesem offensichtlich ein amouröses Stelldichein hatte. Ob dieser Informationen kommt es zum Streit zwischen Annie und Ben, woraufhin sich letzterer gehörnt und gekränkt zurück nach Berlin begibt. Bei ihren weiteren Recherchen erfährt Annie schließlich vom rätselhaften Verschwinden einer jungen Frau sieben Jahre zuvor in der Halloween-Nacht. Äußere Ähnlichkeiten von Annie mit der Verschwundenen bringen diese schließlich in eine tödliche Gefahr.
"Rotkäppchens Traum" heißt der neueste Psycho-Thriller von Max Bentow, einem der gefragtesten deutschen Autoren in diesem Genre. Wer Bentow hört, denkt sogleich an Nils Trojan, den Berliner Kommissar und Protagonisten zahlreicher Bücher Bentows. Doch hat der Autor dieses Mal auf seinen Serienhelden verzichtet und einen Psychothriller verfasst, der gänzlich ohne Polizeiarbeit, ja ohne das Auftauchen eines einzigen Gesetzeshüters daherkommt. Seit knapp einem Jahrzehnt schwimmt Max Bentow zusammen mit Nils Trojan auf der Erfolgswelle. Bisher sieben Romane dieser Reihe, beginnend mit "Der Federmann" im Jahre 2011, hat Bentow erfolgreich in den Bestsellerlisten platzieren können. Mit "Rotkäppchens Traum" hat er nun zum zweiten Mal einen Non-Trojan-Thriller aufgelegt, was den Verkaufszahlen jedoch keinen Abbruch tut.
Die stets parallel zu Bentows Büchern erscheinenden Hörbuch-Ausgaben profitieren erheblich von ihrem starken Sprecher. Mit Axel Milberg, dem für gewöhnlich als Kieler "Tatort"-Kommissar auftretenden Hobby-Schriftsteller, ist von Bentows Debütroman an eine wirklich starke Stimme verantwortlich für den Erfolg der vorgelesenen Variante. Auch dieses Mal sitzt Milberg wieder am Mikrofon und begeistert mit seiner stimmlichen Vielfalt, die mit gekonnten Wechseln in Tempo und Intensität den Hörer an sich fesselt. Auf einer mp3-CD findet sich mit einer Laufzeit von 8 Stunden und 44 Minuten eine minimal gekürzte Lesung von "Rotkäppchens Traum". Warum gegenüber der nur als Download verfügbaren ungekürzten Lesung mit 9 Stunden und 22 Minuten hier eine Kürzung um 38 Minuten stattgefunden hat, weiß wohl nur der herausgebende Hörverlag.
Bei "Rotkäppchens Traum" handelt es sich um einen wieder einmal handwerklich gut gemachten Psychothriller. Es beschleicht einen allerdings das Gefühl, dass hier ein Autor verantwortlich zeichnet, der sein Metier souverän beherrscht, sich aber für die Schaffung eines solchen Buches nicht besonders anstrengen muss. Der Plot kennt nur wenige handelnde Personen, lebt vom Spiel mit Fantasien und Trugbildern und trieft einmal mehr vor lauter Blut. Die knapp neun Stunden Laufzeit des Hörbuchs fließen dahin, ohne dass man sich dessen gewahr wird. Allerdings wird sich "Rotkäppchens Traum" nicht nachhaltig in der Erinnerung des versierten Thriller-Freundes breitmachen. Zu viele Schocker dieser Machart hat man schließlich erlebt, obgleich man sich wieder und wieder am neuerlichen Zeitvertreib erfreut.
Christoph Mahnel
10.02.2020