Romane
Was bleibt
Einen unglaublichen Unfall zu schildern, der den Leser daran zweifeln lässt, ob so etwas wirklich passieren kann, war eine Absicht von Anna McPartlin. Das tatsächlich so geschehene Unglück ließ die irische Schriftstellerin in allen Einzelheiten auf den Seiten des Buches "Niemand kennt mich so wie du" lebendig werden. Eingebunden ist es in eine feinfühlig erzählte Geschichte, in dessen Mittelpunkt die Freundschaft zweier Frauen steht.
Eve und Lily sind seit ihrer Kindheit beste Freundinnen. Kaum haben die beiden Irinnen im Juli 1990 erfolgreich die Schule abgeschlossen, verlässt Lily die gemeinsame Heimatstadt, um in einem weit entfernten Ort zu jobben. Sie und Eve erzählen sich in oft herrlich amüsanten und authentischen Briefen gegenseitig von ihren Erlebnissen: Lily beispielsweise von ihren neuen Bekanntschaften und Eve von Ben, den sie in diesem Sommer kennenlernt: "Wir haben uns dann über Musik unterhalten, er ist REM-Fan (Gähn! Wie alle), und auf einmal hat er gesagt, dass er mich mag! Einfach so. Ich habe ihm gesagt, er wäre mir zu klein. War das fies von mir?" Lilys Freund Declan, den Eve nicht ausstehen kann, ist der einziger Streitpunkt zwischen den beiden jungen Frauen - bis ihre Freundschaft plötzlich zerbricht. Wie es dazu kommt, bleibt lange Zeit ungewiss.
Zwanzig Jahre später kehrt Eve nach einer erfolgreichen Karriere in den USA zurück in ihre irische Heimatstadt, wo sie Kontakt zu Ben und ihrer alten Clique aufnimmt. Kurze Zeit später kommt es zu besagtem Unfall, Eve wird schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert und trifft am Krankenbett auf ihre alte Freundin Lily, die sie seit dem Sommer 1990 nicht mehr gesehen hat.
Beide sehnen sich ihre alte Freundschaft zurück, doch was zwischen den beiden jungen Frauen und Declan, mittlerweile Lilys Ehemann, vorgefallen ist, können sie auch Jahre später nicht hinter sich lassen. Lily "dachte an die Eifersucht und an das Temperament ihres Mannes. Sie fragte sich, wie lange sie Eves Anwesenheit im Krankenhaus vor ihm geheim halten konnte, aber vor allen Dingen fürchtete sie sich davor, was passieren würde, wenn er es erfuhr."
Takt und Tonfall der Geschichte gab beim Schreiben laut Autorin der geschilderte Unfall vor. Und obwohl dieser nicht der einzige Schicksalsschlag bleibt, schafft es der Roman, Optimismus zu vermitteln.
Die Ereignisse des längst vergangenen Sommers fügen sich durch Rückblenden in Form der Briefe erst nach und nach wie ein Puzzle zusammen. Doch McPartlin erzählt damit auf den insgesamt rund 550 Seiten nicht nur die Geschichte von Eve und Lily. Viele andere kleine Episoden aus dem Leben der Nebendarsteller, erzählt aus der Sicht der jeweiligen Person, bereichern die Geschichte. Gerade diese verschiedenen Charaktere sind es, die für Lebendigkeit sorgen. Ein besonderes Plus sind die authentisch wirkenden Briefe der jugendlichen Freundinnen, die mit Sicherheit auch einige Leserinnen in längst vergangene Zeiten versetzen.
Jennifer Mettenborg
26.10.2015