Romane
Der nächste große Coup aus Daniel Kehlmanns Feder: ein Juwel im Bücherregal
Daniel Kehlmanns Roman über einen Filmregisseur im Dritten Reich, über Kunst und Macht, Schönheit und Barbarei ist ein Triumph. "Lichtspiel" zeigt, was Literatur vermag: durch Erfindung die Wahrheit hervortreten zu lassen. Erzählt wird die Geschichte eines der Größten des Kinos, vielleicht der größte Regisseur seiner Epoche: Zur Machtergreifung dreht G.W. Pabst in Frankreich; vor den Gräueln des neuen Deutschlands flieht er nach Hollywood. Aber unter der blendenden Sonne Kaliforniens sieht der weltberühmte Regisseur mit einem Mal aus wie ein Zwerg. Nicht einmal Greta Garbo, die er unsterblich gemacht hat, kann ihm helfen. Und so findet Pabst sich, fast wie ohne eigenes Zutun, in seiner Heimat Österreich wieder, die nun Ostmark heißt. Eigentlich nur, um sein alte, kranke Mutter zu besuchen.
Bevor Pabst mit Frau und Kind wieder in die USA reisen kann, bricht mit dem Überfall Polens der Zweite Weltkrieg über Europa herein. Pabst versucht sich in seinem neuen Leben irgendwie zu finden - mit allerlei Schwierigkeiten. Die barbarische Natur des Regimes spürt die heimgekehrte Familie mit aller Deutlichkeit. Doch der Propagandaminister in Berlin will das Filmgenie haben, er kennt keinen Widerspruch, und er verspricht viel. Während Pabst noch glaubt, dass er dem Werben widerstehen, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen wird, ist er schon den ersten Schritt in die rettungslose Verstrickung gegangen. Pabst und seine Familien sehen sich mit immer mehr Repressalien konfrontiert. Im Ort werden sie gemieden, wie es sonst der Teufel mit dem Weihwasser tut. Es sind harte Monate, gar Jahre - ohne Hoffnung auf ein Ende ...
Literatur als Verführung für alle Sinne - einem Buch aus Daniel Kehlmanns Feder zu widerstehen, ist nahezu unmöglich. Und wer es doch kann, der kann einem nur leidtun, denn der wird nie erfahren, wie vollkommen schön Belletristik ein kann. Sein Glück über die Lektüre eines Romans wie "Lichtspiel" kann man gar nicht fassen. Denn solche Literatur kann unser aller Leben tatsächlich verändern, gar revolutionieren. Mehr noch: Was der deutsche Bestsellerautor verfasst, berauscht den Leser regelrecht; macht ihn ab dem ersten Satz ganz schwindelig. Da hätten es auch gerne doppelt so viele als "nur" die knapp 500 Buchseiten sein dürfen. Zwischen zwei Buchdeckeln steckt ein Lektüregenuss par excellence. Das zu toppen, gelänge nur den wenigsten Schriftstellern. Und denen dann auch nur äußerst schwer!
Daniel Kehlmann einen der grandiosesten Schriftsteller unserer Zeit zu nennen und seinen Roman "Lichtspiel" als Geniestreich ohnegleichen zu bezeichnen, wäre DIE Untertreibung des Jahres 2023. Für beides braucht es viele, viele Superlativen. Und selbst das würde wahrscheinlich nicht ausreichen. Daher nur zwei Wörter: absoluter Wahnsinn! Was man hier in die Hände bekommt, ist Literatur auf erzählerisch höchstem Niveau. Mit nichts anderem im Bücherregal zu vergleichen! Ähnlich wie Kehlmanns Talent, Geschichte(n) zu schreiben. Einfach nur wow, wow, wow!
Susann Fleischer
16.10.2023