Romane

Eine Liebeserklärung an das Kino als blickerweiternden Raum

Auf einer Reise durch den Südosten Ungarns macht die Erzählerin in einem fast ausgestorbenen Ort an der Grenze zu Rumänien Station. Resignation und Vergangenheitsglorifizierung beherrschen die Gespräche der Bewohner. Wie vieles andere ist auch das Kino, ungarisch "Mozi", längst geschlossen. Einst Mittelpunkt des Ortes, spielt es nur mehr in den Erzählungen und Erinnerungen der Verbliebenen eine wichtige Rolle. Ihre eigene Leidenschaft für das Kino bewegt die Erzählerin dazu, das vor sich hin verfallende "Mozi" wieder zum Leben zu erwecken. In ihrem neuen Buch erzählt Esther Kinsky von der unwiderstehlichen Magie des Kinos, eines Ortes, "wo Witz, Entsetzen und Erleichterung ihren gemeinschaftlichen Ausdruck fanden, ohne dass die Anonymität im dunklen Raum angegriffen wurde".

Aller glühenden Kinobegeisterung und dem Nachdenken über den "großen Tempel des bewegten Bildes" liegt die Frage zugrunde: Wie ist ein "Weiter Sehen" und eine Verständigung darüber möglich, wenn der Ort einer gemeinsamen Erfahrung zugunsten einer Privatisierung von Leben und Erleben demontiert ist?

Poetisch, betörend, einfach nur grandios - diese und viele weitere Adjektive fallen einem ein, wenn man ein Buch von Esther Kinsky liest. Und das ist auch kaum verwunderlich, denn die Autorin kann schreiben, in einer Liga wie nur die wenigsten. Ihr Talent raubt einem den Atem, macht regelrecht schwindelig und auch glücklich. "Weiter Sehen" gehört zu den Büchern, die man dieses Jahr unbedingt gelesen haben muss. Mit dieser Neuerscheinung übertrifft der Suhrkamp Verlag einmal mehr sich selbst. Deren Lektüre kommt einem Wunder gleich. Mehr noch: einer Verführung, der man ab dem ersten Satz vollkommen erliegt. Da fällt es nach der letzten Seite überaus schwer, mit dem Alltag weiterzumachen. Kinsky ermöglicht uns nämlich eine Auszeit, die man auskostet bis zum bitter-süßen Schluss.

Unter den Autor*innen Deutschlands ist Esther Kinsky ein noch nie dagewesenes Ausnahmetalent. Ihr schriftstellerisches Können sucht seinesgleichen auf dem Literaturmarkt. Mit "Weiter Sehen" erfährt man Unterhaltung, die geradezu preis-, zumindest aber bestsellerverdächtig ist. Man verliert sich mit allen Sinnen in der "Geschichte", bekommt über solch einen Genuss von der Welt um sich herum nichts mehr mit. Kurzum: Erzählkunst auf höchstem Niveau!

Susann Fleischer 
17.04.2023

 
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Das Buch:

Esther Kinsky: Weiter Sehen

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Berlin: Suhrkamp Verlag 2023 200 S., € 24,00 ISBN: 978-3-518-22544-8

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