Romane
Ein Käfig voller Eltern
Nachdem Carolin ihren Ehemann im heimischen Wohnzimmer in flagranti und in eindeutiger Stellung hinter einem blonden Püppchen in Strapsen erwischt hatte, durchlief sie in den darauffolgenden Monaten den vor allem für sie schmerzhaften Prozess von Trennung und Scheidung. An ihrer Seite spendet ihr jedoch Luis, der achtjährige Sohn, der sich für ein Leben bei seiner Mutter entschieden hat, Kraft und Durchhaltevermögen. Da Luis´ Vater von seinen Besuchsrechten nur hin und wieder Gebrauch macht, muss Carolin bei ihrem Sohn auch ein wenig die fehlende Vaterfigur kompensieren. So gibt sie dem Drängen von Luis nach und meldet ihn beim lokalen Fußballverein in Reschheim an. Dort wird der Junge in die F2-Mannschaft gesteckt, einen hoffnungslos chaotischen und fußballerisch limitierten Haufen. Carolin muss sich zu allem Überdruss mit den Müttern von Dario-Devin & Co. am Spielfeldrand arrangieren, was ihr alles andere als leicht fällt.
Nicht dass es schon schlimm genug wäre, die Psychosen der anderen Eltern ertragen zu müssen, fällt eines Tages ihr Blick auf den Nachbarplatz, wo die hochgelobte F1-Mannschaft kickt, und dort auf besagtes Püppchen, das sehr willig Carolins Mann in sich aufgenommen hat. Jener Konstantin schickt sich darüber hinaus an, Luis für sich gewinnen zu wollen, und hält im Zuge dessen eine Menge Gemeinheiten für Carolin bereit. Diese wiederum versteht es nicht, die hoffnungsvollen Avancen anderer männlicher Geschöpfe zu genießen. Stattdessen sinnt sie auf Rache für die Demütigungen ihres Mannes und seiner neuen Perle. Wie gerufen kommt da der "Cookie-Cup", ein Fußballturnier für F-Jugendmannschaften, an dem auch die beiden Mannschaften des 1.FC Reschheim teilnehmen sollen. Carolins Gedanken galoppieren davon, sie geht "all-in" und volles Risiko, doch wie in aller Welt soll die F2 mit Luis den für ihren Plan benötigten Cup-Gewinn einfahren?
"Fußballmütter" lautet der Titel dieses höchst amüsanten Romans über betrogene Ehefrauen, Scheidungskinder und Patchwork-Familien. Die Autorin Hanna Dietz hat sich in den vergangenen Jahren mit viel Erfolg dieser Art von Romanen verschrieben. Gerne überzeichnet sie in ihrer Darstellung, punktet bei ihrer überwiegend weiblichen Leserschaft mit armen, aber letztlich doch starken Frauen bzw. mit fiesen und am Ende gar kleinlauten Männern. Klar, diese Darstellungsform ist ihr gutes Recht und das literarische Genre ist als "Chick Lit" auch durchaus salonfähig, von den erfolgreichen Verkaufszahlen mal ganz abgesehen. Obgleich die Handlung im vorliegenden Buch auf den Showdown im "Cookie-Cup" zusteuert, kennt "Fußballmütter" nur wenig Spannungsaufbau, sondern will vor allem eines: von der ersten bis zur letzten Seite unterhalten.
Hanna Dietz ist es in "Fußballmütter" gelungen, einige schräge Charaktere zu schaffen. Ganz vorne dabei ist Carolins Vater, ein frisch gebackener Ruheständler à la Loriots "Pappa ante Portas", und auch die zugehörige Frau an dessen Seite, die jahrzehntelang geschwiegen und ertragen hat, nun aber das Gefühl hat, aus ihren Lebensstrukturen ausbrechen zu müssen. Im Zentrum der ganzen Geschehnisse befindet sich Carolin samt ihrer emotionalen Schwankungen, sie hat von ungezügeltem Selbstmitleid bis zur punktuell selbstbewussten Frau von heute alles in petto. Auch ihr aktueller Männerkosmos hat es in sich: Zum einen wäre da der potentielle Toyboy aus der WG im Erdgeschoss, zum anderen der schnöselige Typ vom Fußballplatz, der sich aber als doch ganz nett rausstellt und vor allem die Truppe um Luis auf Vordermann zu bringen gedenkt.
Bei allen unterhaltsamen Aspekten hat sich die Autorin ein sehr ernstes Thema für den Hintergrund ihres Buchs hergenommen, und zwar das der tollwütigen Eltern am Spielfeldrand, die sich dort untereinander duellieren, obgleich ihre Kinder beim Kicken doch nur Spaß haben wollen. In den letzten Jahren haben sich die Meldungen über Spielabbrüche, Schlägereien oder sonstige Eklats hierzulande bei Fußballspielen Minderjähriger signifikant gemehrt. Beileibe sind es aber nicht die Kinder, die diese herbeiführen, sondern deren Eltern, die außer Acht lassen, dass ein Turnier von F-Jugendmannschaften noch keine Sichtung zukünftiger Bundesligaprofis oder Nationalspieler ist. Um diese gesellschaftliche Fehlentwicklung aufzuzeigen, hat Hanna Dietz allen 32 Kapiteln des vorliegenden Buchs mit Quellen unterlegte Meldungen zu entsprechenden Vorfällen vorangestellt.
Christoph Mahnel
17.07.2017