Krimis & Thriller
Holbe lässt die Puppen weitertanzen
Das neue Jahr ist nur wenige Stunden alt, als eine junge Frau ermordet in einem Müllcontainer im Frankfurter Bankenviertel entdeckt wird. Schnell ist klar, dass es sich bei der Toten um eine junge Studentin handelt, die sich als Edel-Prostituierte verdingte. Die Ermittlungen führen nicht nur dank des Fundorts der Leiche in die obersten Etagen des Bankenviertels. In den darauffolgenden Tagen werden mehrere Frankfurter aus den oberen Zehntausend tot aufgefunden. Für Hauptkommissarin Julia Durant und ihre Kollegen ergibt sich vor allem aus der scheinbar eindeutigen Indizienlage ein großes Rätsel, da sich die Rädchen einfach viel zu geschmeidig ineinander fügen wollen.
Andreas Franz hatte im Jahre 1996 mit "Jung, blond, tot" die erfolgreiche Reihe um Julia Durant initiiert. Zehn weitere Krimis mit der intuitiven Hauptkommissarin sollten folgen, bevor der Schriftsteller im März 2011 völlig überraschend im Alter von 57 Jahren verstarb. In Absprache mit Franz´ Witwe und dem herausgebenden Knaur Verlag hatte mit Daniel Holbe ein hoffnungsvoller lokaler Autor die Fortführung der Julia-Durant-Reihe in Angriff genommen. Im ersten Schritt hatte Holbe lediglich das in weiten Teilen vorliegende Manuskript aus der Feder von Andreas Franz vollenden müssen, um im Mai 2012 mit "Todesmelodie" den ersten posthumen Andreas-Franz-Roman zu veröffentlichen. Nun wagt sich Holbe jedoch noch einen Schritt weiter, nämlich die Serie ohne jegliche Vorgaben des Erfolgsschriftstellers fortzuführen. Mit "Tödlicher Absturz" legt Daniel Holbe seinen ersten gänzlich in seiner eigenen Regie entstandenen Julia-Durant-Krimi vor.
Bereits nach dem Erscheinen von "Todesmelodie" waren die Fans von Julia Durant hin- und hergerissen: Zum einen waren sie glücklich, dass die Kommissarin weiter ermittelte, zum anderen analysierten sie intensiv den Roman, um zu identifizieren, welche Passagen noch von Franz und welche bereits von Holbe verfasst worden waren. Dieser differenzierende Blick ist beim vorliegenden Roman mittlerweile obsolet geworden. Holbe hat sich in den vergangenen anderthalb Jahren in die Denke von Franz und dessen Figuren hineingearbeitet. Dies ist ihm, was die Darstellung der einzelnen Charaktere betrifft, zweifelsohne gut gelungen.
Der erfahrene Leser wird jedoch feststellen, dass sich - wenig überraschend - der Schreibstil durchaus verändert hat. Positiv ist dabei vor allem anzumerken, dass Daniel Holbe im Vergleich zu Andreas Franz weniger den Moralapostel spielt. Dafür wird bei Holbe jedoch offensichtlich, dass er deutlich geringere Detailkenntnisse über Frankfurts Straßenzüge besitzt. Einheimische Leser aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet waren bei Andreas Franz durch die exakte Nennung von Straßennamen deutlich näher dran am Geschehen. Während man einst mit Franz auf dem Rücksitz des Einsatzwagens durch die Straßen Frankfurts kurvte, beschränkt sich Holbe dagegen lediglich auf die Nennung des jeweiligen Stadtteils und operiert dann mit unspezifischen Angaben, wodurch das Kopfkino des Lesers ein wenig diffus bleibt.
Was unter dem Strich jedoch bei einem Kriminalroman mit Julia Durant zählt, sind schlicht und einfach Spannung und Story. Diesbezüglich erlaubt "Tödlicher Absturz" nur eine Bewertung, nämlich dass es Daniel Holbe vollends gelungen ist, eine schlüssige Story zu konzipieren, bei der man als Leser zwar recht schnell eine Ahnung hat, wohin die Reise gehen könnte, sich jedoch vor plötzlichen Wendungen nicht sicher sein kann. In Sachen Spannung hat Holbe seine Sache ebenfalls sehr gut gemacht. Trotz mancher Längen im Mittelteil entschädigt der dramatische, jedoch nicht überzogene Showdown für einiges.
Das ziemlich einzigartige Konzept, nach dem Tod eines Schriftstellers einen anderen dessen Reihe fortführen zu lassen, hält einen jedoch natürlich nicht ab, die beiden Autoren stilistisch zu vergleichen. Es mag einen das Gefühl beschleichen, dass Holbe den schon recht einfach gehaltenen Stil von Andreas Franz noch weiter simplifiziert hat, so dass man ihm den Rat geben möchte, noch weiter an sich zu arbeiten und ein wenig die Magie des Franz´schen Schreibstils zu analysieren, der den Leser fesselte und diesem auch nur den Gedanken verbot, das Buch aus der Hand legen zu wollen. Jedoch stellt dies ein höchst schwieriges Unterfangen für den jungen Autor aus der Wetterau dar, bedenkt man, wie viele Schriftsteller für gewöhnlich daran scheitert, lediglich ihren eigenen Stil finden zu müssen. Holbe dagegen muss sich entscheiden, inwieweit er Holbe sein möchte und inwieweit er den Stil eines Verstorbenen erlernen und imitieren möchte.
Trotz aller "Wenn" und "Aber" werden die Fans von Julia Durant erleichtert sein, dass ihre Kommissarin nicht gemeinsam mit ihrem geistigen Vater verstorben ist, sondern ihr fiktives Leben weiterführen darf. Glücklicherweise lässt Holbe Julia Durant in "Tödlicher Absturz" endlich wieder einmal in Richtung männliches Geschlecht denken, da diese Abstinenz in der Vergangenheit Durants Laune meist sehr abträglich war.
Kritisch mag man die Marketing-Idee des herausgebenden Knaur Verlags beäugen, auf dem Cover weiterhin den Namen "Andreas Franz" zu führen, und zwar in mehr als doppelt so dicker Schrift wie der darunter prangende Name des wahren Autors. Hier sollte man für die zukünftigen Romane vielleicht die Toten ruhen lassen und demjenigen Ehre erweisen, dem sie auch gebührt. Es bleibt abzuwarten, wie der Verlag diesbezüglich im kommenden Herbst agieren wird, denn für September ist mit "Teufelsbande" schon der nächste Julia-Durant-Roman aus der Feder Holbes angekündigt. Dort soll dann auch noch der Offenbacher Kommissar Peter Brandt, für den Franz eine eigene Reihe geschaffen hatte, unterstützend auf der Bildfläche erscheinen.
Christoph Mahnel
15.04.2013