Krimis & Thriller
Ein deutscher Schweden-Krimi
Vor vier Jahren wurde die zweijährige Lucie Hansson, das Kind von Tinka und Leander Hansson, vor einer Markthalle in Göteborg entführt und ist seitdem verschwunden. Aktuell kümmert sich Kommissar Greger Forsberg um die Entführung der sechsjährigen Valeria Bobrow, deren Mutter Oxana im Verdacht steht, illegal als Prostituierte zu arbeiten, und deren Vater Ivan Krull, ein estnischer Kleinkrimineller, wenig später enthauptet aufgefunden wird. Schließlich begeht in seinem Landhaus Magnus Cederlund, der Besitzer des Göteborg Dagbladet und ein scheinbar pädophiler alter Mann, Selbstmord. Wenige Tage später wird seine Frau Marta überfallen und liegt seitdem im Koma.
Die Ballung von Handlungssträngen und involvierten Personen, die einem Susanne Mischke in ihrem neuesten Roman "Töte, wenn Du kannst!" gleich auf den ersten 100 Seiten auftischt, ist gewaltig. Am Leser ist es nun, sich einen Einblick über eventuelle Zusammenhänge zwischen den einzelnen Vorfällen zu erarbeiten. Welche Rolle spielt die Journalistin Eva Röög, die bei Cederlunds Zeitung arbeitet, vor nicht allzu langer Zeit eine leidenschaftliche Affäre mit Leander Hansson hatte und der auch Kommissar Forsberg nicht abgeneigt ist? Ein wenig isoliert erscheinen einem darüber hinaus beim Lesen die Rückblenden auf eine gewisse Camilla, die einst in den Siebzigern mit dem Vater von Tinka Hansson ein Verhältnis hatte und daraufhin eine Tochter namens Lillemor geboren hatte.
Wird es Forsbergs neuer Kollegin Selma Valkonen, die von ihm ob ihres Aussehens wenig liebevoll als "Vogel" bezeichnet wird, gelingen, Schwung in die alten und auch aktuellen Fälle zu bringen? Schließlich ist Forsberg in dieser Hinsicht persönlich befangen, da seine Tochter Annika, die mittlerweile über 20 sein dürfte, vor einigen Jahren als Teenager spurlos verschwunden ist und Forsberg nur noch durch anonyme Postkarten aus europäischen Städten scheinbare Hinweise auf Annikas Aufenthaltsort zugespielt bekommt.
Als Aufhänger des vorliegenden Buches fungiert trotz der Wust an Handlungssträngen vorrangig die Entführung der zweijährigen Lucie Hansson, deren Eltern vier Jahre nach der Entführung plötzlich und unerwartet über verschiedene Kanäle Informationen erhalten, dass ihre Tochter angeblich noch lebe und sie sie zurückhaben könnten, insofern sie bereit sind, einen Auftragsmord zu begehen. Doch wen sie töten sollen, bleibt zunächst offen. Da lässt Susanne Mischke den Leser im Dunklen tappen, genauso wie bei der Fragestellung, in welchem Zusammenhang denn Camilla und Lillemor, die beiden Fremdkörper des Buches, mit den anderen handelnden oder toten Personen stehen. Idealerweise macht sich der geübte Krimileser seine eigenen Notizen und visualisiert für sich die Zusammenhänge zwischen sämtlichen Personen, ganz so wie dies Kriminalkommissare für gewöhnlich im Fernsehen vormachen.
Der neueste Kriminalroman der in Hannover lebenden Susanne Mischke weist gegenüber der Mehrzahl ihrer bisherigen Bücher, die vorzugsweise in der niedersächsischen Landeshauptstadt angesiedelt waren, eine Besonderheit auf. Mischke hat sich den Erfolg von Schweden-Krimis hierzulande zu Nutze gemacht und ihren Plot in "Töte, wenn Du kannst!" nach Göteborg verlegt. Scheinbar ist das Genre "Schweden-Krimi" derart attraktiv, dass nun schon ausländische Autoren schriftstellerisches Asyl in dem skandinavischen Land beantragen, um dort ihre Geschichten spielen lassen zu dürfen. Dieses Vorgehen erinnert ein wenig an die Sechziger Jahre, als deutsche Krimiproduzenten ihre Werke und insbesondere auch deren Verfilmungen bevorzugt in den englischen Nebel verlagerten, da dort das Biotop für beste Krimiunterhaltung vermutet wurde.
Bei allem Mord und Totschlag sowie den schrecklichen Kindesentführungen thematisiert "Töte, wenn Du kannst!" vor allem eine Fragestellung, die sich alle Eltern sicherlich schon einmal vergegenwärtigt haben: Wie weit würde man gehen, um sein eigenes Kind zu retten bzw. wie im vorliegenden Fall zurückzubekommen? Diese Gedankenspiele beschäftigen den Leser beim Beobachten der sich windenden Hanssons durch das ganze Buch hinweg. Dabei lässt Mischke ihre beiden diesbezüglichen Protagonisten durchaus glaubhaft agieren und eine Lösung finden, die weder schwarz noch weiß gefärbt ist.
Susanne Mischke gelingt es in "Töte, wenn Du kannst!" trotz des dichten Handlungsgeflechts, eine plausible und völlig nachvollziehbare Story zu stricken, die den Leser von Anfang an gefangen nimmt und ihm sicherlich einige Stunden Schlaf raubt, die man am nächsten Morgen zwar nicht bereut, jedoch mit viel zu viel Kaffee kompensieren muss.
Christoph Mahnel
25.03.2013