Gedichtbände

Der poetische Atem der Natur

Igel, Wurm und Schnecke - Renate Dalaun hat für die zoologische Vielfalt nicht ein Lehrbuch geschrieben, sondern ein "Poetisches Gartengeflüster". Die Autorin, 1935 in Karlsbad-Fischern geboren, vertieft sich nicht in die Anatomie des Getiers, sondern spürt ihrem Wesen nach.

Auf 122 Seiten kommt da sehr viel zusammen, und "zusammen" ist auch das Stichwort für ihre Aufmerksamkeit. Wie spielt das zusammen, Tier und Tier, Mensch und Tier? Was bedeuten sie uns, welche Signale senden sie uns, diese Tiere auf der Erde und in der Luft? Der Leser erkennt so etwas wie das heimliche Rollenspiel dieser Tiere, ihre Eigenart, und oft spricht die Autorin die Pflanzen an und hört Dinge aus deren Inneren, die andere kaum beachtet hätten. Sie hört die Orakelstimme der Blumen heraus und schenkt dem zartesten Lebewesen, dem Schmetterling, große Beachtung, wenn er auf buntschillernden Flügeln die Welt "auspendelt". Ein poetisch veranlagter Sinn neigt sich dem Natürlichen zu und nimmt es auf. Wie, wenn der Schmetterling einer bekannten Metapher folgend viel mehr in der Welt auslöst, als wir uns ausdenken können? Die Mikrowelt von Pflanzen und Tieren, und ihre mitunter ernste Tragweite für uns alle. Verweilen, hinschauen, will uns das Büchlein sagen.

Der Sinn bleibt auf das Wesen gerichtet: Man schaut die Dinge "außerhalb zeitlicher Grenzen an" und erfahren so deren Grundprinzip jenseits vom Hier und Jetzt. Der Garten wird zum Garten der Erinnerung, in welchem das Rascheln und Säuseln im Laub eben mehr ist als nur ein Produkt des Windes. "Leid bittert die Züge der Trauernden ein", heißt es so schön.

Der Ausdruck ist oft ungewöhnlich und immer auch präzise, wir hören den "Traumschrei" und lesen: "Mein Traum vertropft inmitten der Schauer." Gleichzeitig erkennen wir lesend, wie der Augenblick seine "Verbalisierung" erlebt. Die Welt, die in diesem Büchlein zu erleben ist, wird unerhört aktiv. Die Sprache lebt, sie lebt sehr oft vom Verb und schwingt sich so über das rein Beschreibende hinaus. Der Raum erfährt Tiefe, indem er durchflogen und durchschritten wird. Kleines Buch, großer Raum, alles in melodisch gefassten Strophen erfassbar gemacht. Der sprachliche Ausdruck erhebt die Gedichte zu schöner Lyrik, Naturlyrik kann man sagen, die so frei daherkommt wie eben die Natur. Verwundert sieht man, wie der Vollmond "dazu verleitet, den Schwellenbereich zu betreten".

Die Gedichte sind vor dem geistigen Auge unterschiedlich positioniert, auch unterschiedlich hoch, frei anwählbar wie der einzelne Ton in der Partitur. Der "poetische Garten" als titelgebender erster Teil der Sammlung bietet sich als Ausgangslinie an. Denn hier fließt das Tierleben ins menschliche Leben ein, wir fühlen den "Atem der Natur", folgen der "sonnenflüchtigen Eule", die ihrerseits die nächtlichen Stimmen "verspinnt". Wer nicht einhält, dies zu betrachten, geht möglicherweise "am langen Zügel im Schritt am Leben vorbei".

Unterschiedlich positioniert: Unversehens liest man sich in die moderne Welt hinein, in der das Verhalten unser aller zum Thema wird. Hier nehmen die Gedichte eine mahnende Haltung ein: "Wir löschen die Farben des Himmels, das Erbe Welt", warnt die Dichterin im Gedicht "Sterbender Gletscher". Und: "Die Ozonschicht lässt sich nicht stopfen. Müll in den Wäldern, die Bäume vergiftet. Atomsmog im Atem."

Aber die Zeit reicht weiter, sie spielt überhaupt im Buch "Poetisches Gartengeflüster" eine wichtige Rolle: "Manchmal fühl ich mich eingeschlossen in die innere Zeit und ahne, dass Zeit ins Unabsehbare fließt, überfülle die Stunden". - Welches das schönste dieser Gedichte sei? Vielleicht "Chiffre", angesiedelt zum Ende dieses Werkes?

Ronald Roggen
11.04.2011

 
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Das Buch:

Renate Dalaun: Poetisches Gartengeflüster. Lyrik

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2010
122 S., € 12,40
ISBN: 978-3-8372-0767-5

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