Briefliteratur & Tagebuch
Ein Dokument von großer Intensität und Wahrhaftigkeit
Heinrich Böll gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Im Jahr 1972 erhielt er den Nobelpreis für Literatur, mit welchem seine literarische Arbeit gewürdigt wurde. In seinen Romanen, Kurzgeschichten, Hörspielen und zahlreichen politischen Essays setzte er sich kritisch mit der jungen Bundesrepublik auseinander. In zahlreichen Bücherregalen findet man "Billard um halbzehn", "Ansichten eines Clowns", "Und sagte kein einziges Wort" sowie "Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind". Das letztere Werk bedeutet ein Juwel der (Sach-)Literatur. Hier erfährt man Lesegenuss pur! Nur den wenigsten Autoren gelänge ein ähnlicher Geniestreich.
Das hat man so noch nicht gelesen: Knapp, assoziativ, stellenweise geradezu lyrisch notiert Böll, was ihn in den letzten Kriegsjahren beschäftigt, quält und am Leben hält. Anders als in den Kriegsbriefen, die zusammenhängend beschreiben, was ihm widerfuhr, aber die Zensur passieren mussten, hält er hier stichwortartig fest, was den einzelnen Tag bestimmte und innerhalb der grausamen Kriegsroutine an der Front und in der anschließenden Kriegsgefangenschaft zu etwas Besonderem machte. Fixpunkte dabei sind seine junge Frau Annemarie, die er schmerzlich vermisst, und Gott, den er im Angesicht des Grauens der Schützengräben als Hoffnungsspender und Schutzinstanz anruft.
Beeindruckend ist die Intensität dieser skizzenhaften Aufzeichnungen, die zeigen, wie Böll um seelische Integrität und Selbsterhaltung ringt. Geschrieben in der Zeit von der Abreise nach Frankreich über die Verlegung an die Ostfront bis zur Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im September 1945 - und ungekürzt veröffentlicht. Zwischen zwei Buchdeckeln findet man eine überaus fesselnde Lektüre über viele, viele Stunden lang. Solch ein Leseerlebnis kriegt man nur seltenst in die Hände. Böll teilt mit uns seine Gefühle und reißt uns mit in eine Zeit, die zwar längst vergangen ist, aber nicht in Vergessenheit geraten sollte. "Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind" ist ein Mahnmal, das in Ehren gehalten werden muss.
Mit "Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind", den Kriegstagebüchern von Heinrich Böll, gelingt dem herausgebenden Verlag Kiepenheuer & Witsch eine kleine Sensation auf dem deutschen Buchmarkt. Während der "Lektüre" glaubt man beinahe, das Original in den Händen zu halten. Hier nimmt man Anteil an den Geschehnissen um die Jahre 1943 bis 1945. Und man kommt dem Ausnahmeautor ein Stück weit näher.
Susann Fleischer
23.10.2017