Autobiographie

Geräusche, Gerüche, Gedanken

Das ist Fuchs'sche Art. Die feine Art des Schriftstellers Gerd Fuchs, der das Talent hat, von einem Satz zum anderen - auch mal mitten im Satz - die Spur vom Erzählerischen ins Essayistische, vom Essayistischen ins Erzählerische zu wechseln. Das macht eine Prosa möglich, die bereits vor Jahrzehnten von den Verfechtern der reinen Literatur als Beschreibungsprosa verflucht und verdammt wurde. Gerd Fuchs hat das nie angefochten. Er schreibt noch immer seine erzählerisch-beschreibende, beschreibend-erzählerische Literatur. Sie ist immer eine Möglichkeit vor allem autobiographische Texte nicht in der Darstellung des Faktischen erstarren zu lassen und das Authentische zu bewahren, ohne es zur Dokumentation zu machen.

"Heimwege", Fuchs' neues Buch, ist persönlich-autobiographisch wie zeitgeschichtliche Dokumentation. Statt "Heimwege" hätte durchaus Heimatwege auf dem Buchdeckel stehen können. Fuchs, Jahrgang 1932, auf dem Wege Achtzig zu werden, schreibt sich an Heimatwege heran, die überall sind, wo Fuchs war. In den Jahrzehnten seines Lebens, den Jahrzehnten der wechselvollsten, geteilten, getrennten deutschen Geschichte, die immer die eine, eigenartige, einzigartige Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert war. In den erzählerischen Berichten, den berichtenden Erzählungen des Schriftstellers wird deutlich, welcher Art Trennungen und Teilungen in den deutschen Landen waren. Unabhängig vom historischen Getrenntsein, also der vierzigjährigen Existenz zweier deutscher Staaten.

Hineingeboren in das Dritte Reich, zum Schriftsteller in der Bundesrepublik geworden, in der journalistischen Profession lange aktiv, ist Gerd Fuchs ein stiller, beständiger Schreiber geblieben. Einer, der die Voraussetzung für das genaue Beobachten mitbrachte. Davon profitiert "Heimwege". Es sind ganz und gar die des Gerd Fuchs. Sie werden ganz schnell zu Identifikationswegen vor allem der Leser seiner Generation. Ständig ermöglicht der Autor ein Wiedererkennen, Wiederbesinnen, Wiederwahrnehmen verlorengeglaubter Vergangenheit. Geräusche, Gerüche, Gedanken bringen Empfindungen zurück. Land und Stadt in den Zeiten der Luftangriffe sind wieder da. Ein Morgen im Dorf, an dem Melodien des "Zaubergeigers" Helmut Zacharias erklingen, ist plötzlich gegenwärtig. Verquere Kind-Vater-Verhältnisse werden offenbar und die wiederbelebte Burschenschaftsherrlichkeit in west-deutschen Landen. Das alles war Gestern, war eine alte Gesellschaft, die aus einer anderen Gesellschaft kam. Jeder Ost-Deutsche wird mit Staunen lesen, wieviel gestrige Gesellschaft noch lange durch die Gegenwart der Bundesrepublik geisterte.

Die Geschichten des Gerd Fuchs sind Geschichtsberichte voller Anschaulichkeit, die auch die verstehen können, die weit hinter den realen Geschichtszeiten des Autors in die Welt kamen. Fuchs Geschichten haben das Zeug zu guter Schullektüre, weil ein Zeitzeuge das Wort genommen hat und mit seinen Worten ein guter Übermittler und Vermittler von Lebensgeschichten ist. Wie Walter Kempowski ist Gerd Fuchs ein einfacher Erzähler des Regionalen. Was nicht bedeutet, ein schlicht-simpler Erzähler zu sein. Erzählend lehrt er, weil er ein unaufdringlicher erzählender Lehrer ist. Ohne Eitelkeit nimmt er sich ernst und kann so unterhaltend sagen, was er zu sagen hat.

Fuchs Geschichten sehen oft aus wie Patchworkdecken. Übergänge von Vergangenheit in die Gegenwart, von der Gegenwart in die Vergangenheit, reflektorische Einschübe hier und dort, beleben Szenen, Ereignisse, Abläufe, Anfänge und Abschlüsse. "Heimwege" animiert, sich auch Seins zu denken und hinzuzudenken.

Bernd Heimberger
19.04.2010

 
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Das Buch:

Gerd Fuchs: Heimwege

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Hamburg: Edition Nautilus 2010
256 S., € 19,90
ISBN: 978-3-89401-721-7

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