Medien & Gesellschaft

Eine Erfolgsstory made in Germany

Just in den Tagen, in denen der Deutsche Fußball-Bund ob des Skandals um die Vergabe der Heim-WM 2006 seine schwierigste Zeit zu durchleben scheint, veröffentlicht der Göttinger Verlag Die Werkstatt "Das goldene Buch des deutschen Fußballs", ein knapp drei Kilo schweres und aufwendig gestaltetes Kompendium zur Geschichte des deutschen Fußballs. Bei der ganzen Aufregung um Beckenbauer und Co. erinnert einen dieses Werk sehr schnell wieder daran, dass der deutsche Fußball viel, viel größer ist als ein medial hochgekochter Skandal und dessen moralische Tragweite. Aufgrund des frühen Redaktionsschlusses führt das vorliegende Buch im Statistikteil noch einen gewissen Wolfgang Niersbach als aktuellen DFB-Präsidenten, doch diese Beobachtung gerät beim Stöbern rasch zur Randnotiz.

Für "Das goldene Buch des deutschen Fußballs" zeichnen zwei Männer verantwortlich, die für allerhöchste Qualität in Sachen Fußball-Journalismus stehen: Dietrich Schulze-Marmeling und Hardy Grüne sind für anspruchsvolle Freunde von Fußballbüchern alles andere als Unbekannte, haben sie doch mit ihren Werken in den vergangenen Jahren Maßstäbe gesetzt und auch so manche Auszeichnung eingeheimst. So bedarf es beim Stöbern im vorliegenden Buch schon photographischen Ergebniswissens und einer gewissen Penetranz, um überhaupt auf eine Ungenauigkeit zu stoßen. Doch wer sich nicht daran stört, dass die Autoren aus dem 1:3 im Relegationshinspiel 2013/14 zwischen Darmstadt 98 und Arminia Bielefeld ein 1:2 gemacht haben, wird gewiss ausschließlich pure Freude daran haben, wenn die beiden Autoren ihren Wissensschatz öffnen und zugänglich machen.

"Das goldene Buch des deutschen Fußballs" folgt einem streng chronologischen Aufbau und reicht im eröffnenden Kapitel zurück in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, bis nach den englischen Missionaren mit Walther Bensemann der erste große deutsche Fußball-Pionier die Bühne betritt. Von nun an bilden die seit 1903 gekürten Meister das Rückgrat der einzelnen Kapitel, und das Wappen des jeweiligen Meisters ziert den Seitenrand. So marschieren die Autoren durch die Jahrzehnte und erzählen nicht nur die bekannten Geschichten, sondern beweisen auch höchste Kompetenz, wenn sie in ihren "Einwürfen" oder unter den explizit hervorgehobenen "Mannschaften und Spielern der Stunde" Histörchen zum Besten geben, die für die jeweiligen Besonderheiten ihrer Epochen stehen. Denn wer erinnert sich heute noch an Fritz Walters SV Alsenborn oder den SV Sodingen, den Herner Vorortverein, der anno 1956 im "11 Freunde"-Stil die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft erreichte?

Mit seinen knapp 500 Seiten stellt "Das goldene Buch des deutschen Fußballs" kein Buch dar, das man stringent von vorne nach hinten durcharbeiten wird. Es lädt vielmehr ein, an einer beliebigen Stelle einzusteigen und sich von dort aus leiten zu lassen. So hat man bei der gegebenen Fülle dieses Buchs beinahe jedes Mal wieder das Gefühl, ein neues Buch vor sich liegen zu haben, derart viele Themen und Geschichten werden behandelt und dies auf eine Art und Weise, die abseits vom Mainstream vieler schon tausendmal erzählter Episoden wandelt. Von ihrer chronologischen Berichterstattung weichen die beiden Autoren lediglich für ihre beiden abschließenden Kapitel ab, wenn sie sich auf einigen wenigen Seiten dem Frauen-Fußball und dem Fußball in der DDR widmen. Ein überschaubarer Statistik-Teil rundet "Das goldene Buch des deutschen Fußballs" schließlich ab.

Keine gut geführte private Fußball-Bibliothek wird es sich von nun an mehr leisten können, Grünes und Schulze-Marmelings Kompendium über den deutschen Fußball nicht zu führen. Welt- und Europameisterschaften sowie die Deutschen Meister bilden das Skelett des vorliegenden Buchs, das Fleisch, das die beiden Autoren an diese Knochen heften, beschränkt sich jedoch nicht nur auf das allseits Bekannte, sondern ergibt sich auch mal durch den in untere Ligen sowie nach links oder rechts gerichteten Blick. Als Leser kann man sowohl die Sternstunden des deutschen Fußballs oder des eigenen Lieblingsvereins nochmals durchleben als auch den Wandel des Zeitgeists und der Rolle des Fußballs darin nachfühlen. Am Ende wird man unzweifelhaft zum Ergebnis kommen, dass der deutsche Fußball eine gigantische Erfolgsstory ist und die schönste Nebensache der Welt hierzulande in knapp anderthalb Jahrhunderten eine gewaltige Entwicklung durchschritten hat. Alles nachzuerleben im neuen Standardwerk des deutschen Fußballs!

Christoph Mahnel
14.12.2015

 
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Das Buch:

Dietrich Schulze-Marmeling und Hardy Grüne: Das goldene Buch des deutschen Fußballs

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2015
490 S., € 39,90
ISBN: 978-3-730-70211-6

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