Erzählbände & Kurzprosa
15 kurzweilige Geschichten
Der Autor erzählt 15 kurzweilige Geschichten in bester Hesse-Manier.
Er beginnt mit einem stimmungsvoll geschilderten Begräbnis, bei dem ein riesiger Rabe über der Urnenstätte krächzend kreist. Ob er mit dem Geist des Verstorbenen vereint ist?, sinniert der Autor.
Dann eine Nahtoderfahrung, die uns wieder mal zu denken gibt: "Dieter erzählte mir einst, wie er im Krankenhaus lag, an einem komplizierten Oberschenkelbruch operiert worden war, und in der Nacht nach der Operation erlebte, wie er sich im Geist langsam von seinem Bett erhoben hatte, oben schwebte und sich unten im Bett hatte liegen sehen. Dann sah er ein Licht, dem er immer näherkam, und je näher er ihm kam, desto wohler wurde ihm, er hatte solchen Frieden, solche Ruhe, solche Wohltat, solche Seligkeit noch nie empfunden. Er war klinisch tot und wurde von den Ärzten wieder zurück ins Leben geholt."
Im "Märchen vom Bakschisch" wird klar, dass es dieses Schmiergeld nicht nur im Märchen
gibt. Je weiter wir nach Osten kommen …, aber natürlich auch im Westen.
In der Geschichte "Der Abschied" wird das Schicksal einer Familie geschildert, die ihren Sohn, nachdem er erwachsen geworden war, emotional und räumlich verliert. Kommt uns das nicht bekannt vor!
In "Die Frau vom Meer" steht eine Frau zwischen 2 Männern. Als es darum geht, ob sie dem einen oder anderen folgen, entscheidet sie sich für den lange gewohnten und verzichtet auf eine vermeintliche Erfüllung mit dem neuen abenteuerlichen. Wie vernünftig!
In der Geschichte "Ein unbezahlbares Mittagessen" wird die abgöttische Liebe eines Mannes zu einer Frau geschildert, die ihn nach Jahren der vergeblichen Verehrung aufsucht und ihm ein letztes Opfer abverlangt. Auch dieses bringt ihm kein Glück.
"Ein Wiedersehen" gibt Anlass zur Kontemplation. Die Protagonisten, ein Neffe und sein Onkel, philosophieren über das Leben, den Krieg, Gott und den Teufel.
In "Eine Auseinandersetzung" erfahren wir etwas, das uns alle betrifft: Ein Mann geht malochen, Tag für Tag, die Frau macht den Haushalt, jahraus, jahrein, und versorgt die Kinder. Irgendwann ist sie frustriert und der Mann reagiert mit Unverständnis. Realismus pur!
Die Geschichte "Späte Heimkehr" erinnert in wunderbarer Weise an Hermann Hesses "Heimkehr", einem Klassiker der deutschen Erzählkunst.
Die letzte Geschichte "Zaubernacht" stellt den Höhepunkt dieser beeindruckenden Kurzgeschichtensammlung dar. Die Protagonisten verbreiten eine Hoffnung, wie wir sie aus unserer Jugend kennen. Doch leider wurde sie bis heute nicht erfüllt: "Man wird den Kosmos begreifen, Angst, Krieg und Ausbeutung werden Vergangenheit sein. Die Wissenschaft wird ein Zeitalter der Wohlfahrt herbeiführen ... und eines Tages ist das Problem des Todes gelöst."
Der Autor ist ein Meister der Naturbeschreibung, auch in seiner letzten Geschichte: "Das Licht des Mondes lag silbern über den Wipfeln des Tannenwaldes unten im Tal, silbern glänzten die Feldwege und sie konnten ihren Lauf bis zum Horizont verfolgen. Die Äcker verfärbten sich tiefbraun, die Roggenfelder wechselten von weiß zu grün, und sie sahen, wie sich eine neue Welt zu ihren Füßen auftat. Es roch nach Tau, nach Tannen, nach blühenden Obstbäumen, nach wildem Wein, nach Nacht und der Wind strich kühl und sanft über ihr Gesicht. Nebelbänke zogen wie Schleier unten im Tal, hüllten für eine Weile den Waldrand ein und stiegen dann wieder zum Berg hinauf. Die Nacht war nicht schwarz, sie wechselte von einem rötlichen Blau in ein helles Grün. Über allem lag jetzt der Silberschein des Mondes …"
Die Sprache des Autors ist verständlich, unaufgeregt und manchmal fast musikalisch, mit einer Vielzahl impressionistischer Bilder. Die Erzählperspektive ist einmal auktorial, dann wieder aus der Sicht eines Ich-Erzählers. Die Geschichten enden mit oder ohne unerwartete Wendung. Die Sujets sind persönlicher oder naturalistischer Art. Sie behandeln moderne, aber auch altertümliche oder märchenhafte Themen. Diese Kurzgeschichten passen perfekt in unsere schnelllebige Zeit! Einen Happen vor dem Einschlafen, den nächsten in der Mittagspause!
Manfred Enderle
02.12.2014
Die Lesung im Deutschen Literaturfernsehen finden Sie hier.