Erzählbände & Kurzprosa

Maos Enkel und deutsche Wertarbeit

Episoden aus Ost und West, gew?rzt mit einem Schuss Satire, sind Inhalt des B?chleins "Der gelbe Drache segelt durch das Mittelmeer" von Mikl?s Kollin. In seinem heiter-am?santen Werk begegnet der Autor dem Leser als passionierter Berater im wirtschaftlich aufstrebenden China, als Rallyefahrer und begeisterter Segler. 

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Rallye Akropolis, 1977: Unter den allgegenw?rtigen Augen der "Firma Horch und Guck" kann die DDR im automobilen Klassenkampf einen Erfolg f?r sich verbuchen. Indes der bundesdeutsche "OPEL Kadett" von Mikl?s Kollin beim Rallye-Weltmeisterschaftslauf l?diert aus der Wertung fliegt, tuckern "Wartburg" und "Trabant" im Zwei(er)takt ins Ziel - wenn auch mit sechs Stunden Versp?tung. 

Jahre sp?ter - die DDR gibt es l?ngst nicht mehr - st??t der Autor ganz ?berraschend auf Teile ihrer Hinterlassenschaft. Maschinen aus ostdeutscher Produktion arbeiten gemeinsam mit gebrauchter Technik aus ganz Europa zuverl?ssig und beharrlich mit am Wirtschaftswunder der offiziell immer noch sozialistischen Volksrepublik China! 

Als wirtschaftlicher Berater genie?t Mikl?s Kollin die nicht ganz uneigenn?tzige Gastfreundschaft der stets l?chelnden Chinesen, welche den Auditor aus Deutschland regelrecht hofieren. Schlie?lich ist es eine EHRE, den Meister zu kopieren! Ein VW, vertrautes St?ck Heimat mitten in einem fremden Land, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Vehikel eines chinesischen Fahrzeugherstellers - "deutsche Wertarbeit Made in China"! 

Ob bei frittierten Seidenraupen oder "Mongolischem Feuertopf" - der Small Talk ?ber "sch?ne junge Frauen" will auch nach einem arbeitsreichen Tag nicht so recht in Gang kommen. Unerm?dlich suchen die Chinesen nach "Optimierungsm?glichkeiten" f?r ihr Unternehmen. Dass die nette und durchaus professionelle Dolmetscherin mitunter nur versteht, was sie verstehen will (oder darf), entschuldigt sie mit einem bezaubernden L?cheln. So bleibt offen, wie das chinesische Wort f?r "Arbeitsschutz" lautet und warum eine Arbeiterin in Hausschuhen Lenkgetriebe f?r leichte LKW montiert. 

W?hrend der Marktwert der arbeitenden Menschen in der Volksrepublik mit zunehmender Bev?lkerung sinkt, kann man f?r Geld inzwischen fast alles haben, sogar das "Anrecht" auf ein zweites Kind, obwohl das verboten ist. Freim?tig bekennt sich der Junior-Chef zu seiner geplanten Beamtenbestechung. 

?ber allem wacht, versteinert und scheinbar unbeeindruckt von den kapitalistischen Ambitionen seiner Enkel, "der gro?e Vorsitzende" Mao Zedong, vor dessen Statue man sich gerne ablichten l?sst - digital und mit einem L?cheln im Gesicht, versteht sich. 

Nach so viel H?flichkeit und chinesischer Schlangensuppe hat sich der Autor eine Erholung verdient. Die g?nnt er sich nach ausgedehnten Segelt?rns auf den Spuren antiker Kulturen bei dem einen oder anderen Gl?schen Metaxa, Ouzo, wei?em oder rotem Wein in den Hafentavernen am Mittelmeer. 

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Mit seinem schlanken B?chlein "Der gelbe Drache segelt durch das Mittelmeer" gelingt Autor Mikl?s Kollin ein interessanter, teils heiterer, teils nachdenklich stimmender Blick hinter die Kulissen des "chinesischen Wirtschaftswunders" und der weltweit einzigartigen Symbiose aus Sozialismus und Kapitalismus. 

Am Beispiel eines Fahrzeugteile-Zulieferers lernt der Leser das immerw?hrende L?cheln des chinesischen Postsozialismus kennen. Ein L?cheln, das Kritik und unangenehme Fragen gleicherma?en ?bert?ncht; ein L?cheln, hinter dem sich aber auch die Ohnmacht der einfachen Menschen verbirgt. Deren Streben nach pers?nlichem Gl?ck, Selbstverwirklichung und Individualit?t, ja selbst ihre Gesundheit und ihr Leben sind in einem Land, zu dem rund ein Viertel der Weltbev?lkerung geh?rt, noch immer - und erst recht unter marktwirtschaftlichen Aspekten - von geringem Wert. 

"?berholen ohne einzuholen", so Walter Ulbricht 1957 auf dem V. Parteitag der SED - dereinst das unverstandene, ja geradezu kryptische Orakel eines anderen "gro?en Genossen" aus der Zeit Mao Zedongs. Die Chinesen scheinen es verstanden zu haben und nennen es "sozialistische Marktwirtschaft"! 

Angesichts solch schwerer Gedanken erscheint es geradezu folgerichtig, dass Mikl?s Kollin seinen Lesern bisweilen etwas Abwechslung g?nnt, indem er sie teilhaben l?sst an seinen sportlichen Leidenschaften als Rennfahrer und Segler mit all ihren angenehmen und weniger angenehmen Seiten ... 

Mario Lichtenheldt 
21.02.2011

 
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Das Buch:

Miklós Kollin: Der gelbe Drache segelt durch das Mittelmeer

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Hamburg: tredition GmbH 2010
76 S., € 19,90
ISBN: 978-3-86850-868-0

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