Erzählbände & Kurzprosa
Wesen der Wassertropfen
"Aber worüber werdet ihr lachen, wenn ich nicht mehr da bin", fragte der selbstverliebte Spötter Truman Capote? Wer nicht schlichten Gemüts ist, dem die flachsinnigen Fernsehkomiker (Comedians) genügen, muss nicht sogleich anfangen zu heulen.
In der gar nicht so fernen katalanischen Hauptstadt, Barcelona, lebt der Schriftsteller Sergi Pàmies. Der weiß was von der Komik des simplen Lebens. Und, was noch schöner ist, der Schriftsteller Pàmies lässt sich in amüsanter Prosa über das Simple aus. Getan hat er das in zwanzig Geschichten. In dem schmalen Band "Wie man in eine Zitrone beißt, ohne das Gesicht zu verziehen" gebunden, müssen sie nicht unbedingt in der vorgegebenen Reihenfolge gelesen werden. Egal, mit welcher Geschichte begonnen wird, jede stachelt an, die nächste, übernächste... zu lesen. Bis jede gelesen ist. Um dann festzustellen, was gerade gewonnen und zugleich verloren wurde, da der Band nicht mehr Geschichten hat. Schade, zu schade! So gut wie Sergi Pàmies hat schon lange kein Schriftsteller mehr für Seelenfrieden und somit Wohlbefinden gesorgt.
Das Buch beiseitegelegt, bleibt einem die Sehnsucht, sich auf unvorgesehene Ereignisse einzulassen, die das Leben verändern. So oder so! Der Erzähler hat einen sechsten Sinn für das Unvorhergesehne, das er leicht, launig, lustvoll, zur lustvollen, launigen, leichten Unterhaltung der Leser schildert. Das muss einer dem Schriftsteller erst einmal nachmachen, so ein Gewese, um die schnellvergehende Existenz eines Wassertropfens zu machen. Welch ein Gewese! Für Pàmies gibt’s nichts Unmögliches. Bei ihm kann eine Seele in den Körper eines klinisch Toten zurückkehren und sämtliche Sinne wiedererwecken. Bei ihm kann ein Verstorbener über "Das Leben danach" berichten und befriedigt feststellen: „Ich musste erst sterben, um herauszufinden, ob sie mich liebten“. Nichts ist für Pàmies unwichtig. Alles vermeintliche Unwichtige ist ihm der beste Stoff für seine Kurzprosa. Und das, obwohl er einen verfluchten „Hang zur Abschweifung“ hat. Was er selbstironisch gesteht, ist ein Vorzug seines vorzüglichen Schreibens. Sobald der Schriftsteller abschweift, schweift er so schön ab, dass man ihm zurufen möchte, möglichst langsam mit dem Abschweifen aufzuhören. Da Wunsch und Wirklichkeit unvereinbar sind, ist hinzunehmen, dass die kürzesten Kurzgeschichten nicht die Würze des Witzes haben, für die die längeren Geschichten geliebt werden. Vor allem weil Sergi Pàmies ein Schriftsteller ist, der sich mit keinem Satz lächerlich macht und den Lesern das nachdenklich-gescheite, helle Lachen gönnt. Auch, wenn’s dem Truman Capote, seelig, gar nicht gefällt: Wir haben gut Lachen. Nach ihm. Mit Sergi Pàmies "Wie man in eine Zitrone beißt, ohne das Gesicht zu verziehen".
Bernd Heimberger
15.12.2008