Erzählbände & Kurzprosa

Aus dem Leben eines Arztes

Dr. Reiner Jesse schildert die traurigen und lustigen Erlebnisse eines Arztes, der vor rund 40 Jahren praktizierte. Eine Zeit, in der es noch nicht so hochtechnisiert und erforscht zuging. Und doch zeigt er auf, welche Parallelen es gibt, wie sich die Zeiten dennoch ähneln. Der Leser wird sehr intensiv, aber äußerst verständlich eingeführt in die Medizin beziehungsweise in einige ihrer Bereiche. Stets erklärend schildert Dr. Jesse, wie es zu den Erlebnissen kommen konnte, was der medizinische Hintergrund war und wie der Ausgang sich gestaltete. Der Leser erhält einen sehr informativen, interessanten und medizinischen Einblick in das Leben eines Arztes und das Treiben in Krankenhäusern und an Studienorten.

So zeigt zum Beispiel die traurige Geschichte der jungen Qualle, wie Ärzte und Schwestern mit schweren Erkrankungen umgehen, wie sie sich vor zu viel Nähe zum Tod schützen und ihn trotzdem hinnehmen und akzeptieren müssen. "Herr Tod" macht keine Kompromisse und fragt nicht danach, ob der Zeitpunkt der richtige ist. Was manchmal für Angehörige wie die Routine von Ärzten aussieht, ist nichts anderes als die mühsam erarbeitete Reaktion, mit solch tragischen Momenten umzugehen. Denn Ärzte müssen lernen zu akzeptieren, dass auch sie keine Macht haben, Gottes Entscheidung und Willen zu umgehen – egal wie gerne sie das möchten oder wie sehr sie an Heilung geglaubt haben. Die Nähe zum Patienten ist da und trotzdem muss Abstand gewahrt werden, aber eines ist sicher, jeder nimmt einen Teil des Klinikalltags mit nach Hause - nicht selten für immer, wie Dr. Jesse einfühlsam beschreibt.

Egal wie kühl dem Patienten manchmal Ärzte vorkommen, zu ihren Patienten bauen die Mediziner trotzdem eine Beziehung auf und empfinden definitiv Traurigkeit, wenn diese die Welt der Lebenden verlassen müssen. Erst recht, wenn Wochen und Monate der Aufopferung und Hoffnung dazwischenliegen. Lustig erscheint die Geschichte der vier Studienkollegen, die in die Psychiatrie geladen werden, um von ihrem Professor examiniert zu werden. Doch dieser betagte, verwitwete Herr bringt so einiges durcheinander. So hält er es für absolut entscheidend für den erfolgreichen Ausgang eines Examens, dass die Studenten wissen, welche wichtigen und bedeutenden Persönlichkeiten in der Heimatstadt einer ihrer Mitstudenten lebten, anstatt ihnen medizinisches Wissen abzuverlangen. Als nun dieser Student aufgrund totalen Versagens durch die Prüfung fällt, wird ihm ein zweiter Anlauf gewährt. Der neuerliche Examenstermin übertrifft alle Vorstellungen und aus dem anfänglichen Humor wird eine Erkenntnis, die alle vier Freunde erstaunt und die noch heute einen von ihnen nachdenklich stimmt, nämlich Dr. Jesse.

Die Geschichte der achtzigjährigen Greisin Sauerbrey, die ihr betagtes Alter angeblich durch Rothändle und Kirschlikör erreicht hat, ist zum Beispiel sowohl humorvoll als auch nachdenklich stimmend. Dr. Jesse zeigt auf, wie sehr das Leben eines Patienten von Willkür abhängen kann, wie sehr es aber auch von Bauchgefühl und absolutem Fachwissen beeinflusst ist. Ärztliche Entscheidungen können rational, aber auch emotionsgeladen sein, sie können absolut nötig und lebensrettend sein, aber manchmal auch unnötig oder gar lebensgefährdend. Dr. Jesse führt den Leser gekonnt in die Erkrankung des Mitralklappenfehlers ein, in Entstehung und Folgen dieser Krankheit. Dann schildert er, was es mit Frau Sauerbrey auf sich hat und wie man ihr Leben durch eine vermeintlich unnötige Untersuchung dramatisch verkürzen kann, obwohl es der Dame doch eigentlich gut geht. Doch aus dem intensiven zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Arzt und Patientin wird deutlich, wie sehr Frau Sauerbrey am Leben hängt, wie sehr sie es verdient hat, davon noch viele Jahre genießen zu können und wie stark sie doch eigentlich ist, da sie diesen dringend notwendigen gefährlichen Eingriff eben doch überstehen kann.

Und so reiht sich eine Geschichte an die andere und zeigt auf, wie falscher Stolz und Neid, Vorurteile und Geniewahnsinn, fatale und zugleich geniale Folgen haben können. Aber auch der Alltag wird nicht ausgespart, der die komischen und witzigen Begebenheiten beleuchtet. Situationskomik und Tragik liegen nah beieinander und unterscheiden sich auch im Laufe der Zeit nicht mehr. Der Autor Reiner Jesse hat ein sehr offenes Buch geschrieben. Er jongliert mit seinem medizinischen Wissen stets auf einem Level das für den Laien absolut verständlich ist, das Geschriebene aber informativ und interessant macht. Man bekommt einen Einblick in diese Welt und ihre Menschen. Das Buch "Hinter weißen Türen" ist sehr lesenswert und ansprechend und nicht nur etwas für Mediziner, sondern auch für interessierte Laien, Studenten oder einfache Menschen, die zwischen den Zeilen lesen können und diese Gratwanderung einmal hautnah erleben wollen, die ein Arzt tagtäglich zu meistern hat.

Tanja Küsters
20.04.2009

 
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Das Buch:

Reiner Jesse: Hinter weißen Türen. Traurige und lustige Erlebnisse eines Arztes

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Frankfurt am Main: Weimarer Schiller Presse 2009
314 S., € 17,40
ISBN: 978-3-83720-383-7

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