Wissenschaft

Nero - der ganz normale Wahnsinn?

Bei dem Gedanken an den römischen Kaiser Nero, den letzten der julisch-claudischen Dynastie, haben heutzutage viele sofort den leierspielenden, singenden Peter Ustinov, der in der Rolle des Kaisers Nero ein wenig der Welt entrückt über das brennende Rom schaut, vor Augen. In der Tat hat die 1951 erschienene Hollywood-Produktion "Quo vadis?" nach dem Roman von Henryk Sienkiewicz das Bild Neros im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt. Selbst wer diesen Film nicht kennt, verbindet mit dem Namen Nero Schlagwörter wie Tyrannei, Wahnsinn, Brandstiftung und Muttermord. Das Image des letzten julisch-claudischen Kaisers, der mit vollem Namen Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus hieß, ist nicht gerade mit positiven Attributen besetzt.

Mit der aktuellen Ausstellung "Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann" und dem gleichnamigen Begleitband versuchen die drei Trierer Museen Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum Simeonstift und das Museum am Dom ein zeitgemäßes Licht auf den römischen Kaiser zu werfen, das einige Klischees und Beschuldigungen, so z. B. die der Brandstiftung, relativiert, wenn auch nicht widerlegen kann. Auf der Grundlage aktuellster Forschungsergebnisse haben die Autoren des über 400-seitigen Bandes das Leben und Wirken Neros von seiner Geburt bis in die Zeit seines Nachfolgers Galba anschaulich dargestellt.

Eine objektive Betrachtung des Menschen und Herrschers Nero gestaltet sich wie bei vielen antiken Persönlichkeiten schwierig, da die Quellenlage nicht optimal ist. Die Hauptquellen für unser heutiges Wissen über Nero liefern die drei antiken Autoren Tacitus, Sueton und Cassius Dio, wobei nur der erstgenannte Neros Herrschaft überhaupt - wenn auch nur als Kind - erlebt hat und aus erster Hand berichten kann. Sueton und Cassius Dio verfassten ihre Berichte erst Jahre nach Neros Ableben. Allen drei ist jedoch gemein, dass ihre Berichterstattung nicht unbedingt unbefangen ist und dass im Fall Suetons auch schon einmal das auftritt, was man heute als "Klatsch und Tratsch" bezeichnen würde.

Die Autoren des Bandes "Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann" versuchen, das häufig negativ gezeichnete Bild des römischen Kaisers mit einigen Denkanstößen zu relativieren bzw. mit der Darlegung der Quellensituation auf die Schwierigkeit der Interpretation seines Wesens hinzuweisen. So ist z. B. nicht eindeutig zu beweisen, ob Nero den großen Brand der Stadt im Jahre 64 wirklich selbst gelegt hat, um die Stadt nachher nach seinen Vorstellungen wieder aufbauen zu können und die Christenverfolgung vorantreiben zu können. Viel wahrscheinlicher ist, dass er nicht der Brandstifter war und er, nachdem die Beschuldigungen zunehmend in seine Richtung liefen, einen anderen Sündenbock suchen musste und die Christen ein gefundenes Fressen waren.

In einem anderen Kapitel beschäftigt den Autor Harald Aschauer die Frage, ob Nero ein Fall für den Psychiater gewesen sei. Für die Beantwortung dieser Frage stellt er eine Anamnese für Nero zusammen - von den Schwierigkeiten bei seiner Geburt bis zur Analyse von Erkrankungen in der Familie der Julier und Claudier. Interessant sind hierbei die akribisch geführten Tabellen über alle Familienmitglieder, ihre Verwandtschaftsbeziehungen, speziellen Erkrankungen und Todesursachen. Doch Aschauer kommt nach dem heutigen Stand der Wissenschaft, vor allem der Psychiatrie, zu dem Schluss, dass Nero nicht krank war, weder physisch noch psychisch. Er ist also allenfalls dem "ganz normalen Cäsarenwahn" verfallen, der sich bevorzugt bei egomanischen Herrscherpersönlichkeiten entwickelt, wenn sie sich scheinbar unbegrenzter Machtfülle gegenüber sehen.

Auf Grundlager dieser Forschungen ergibt sich ein Fazit, das für Nero das Bild eines Herrschers zeichnet, der - salopp gesprochen - schlichtweg dem ganz normalen Wahnsinn verfallen ist, sich dabei aber weder besonders abwegig für seine Zeit präsentiert hat noch unter irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten psychischer Natur gelitten hat.

Die Ausstellung "Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann", die vom 14. Mai bis 16. Oktober 2016 in Trier zu sehen ist, ist die erste ihrer Art in Mitteleuropa und kann mit vielen internationalen Exponaten aufwarten. Der Begleitband dazu stellt - egal, ob man nun die Möglichkeit hat, die Ausstellung zu besuchen oder nicht - für jeden an der Antike und der römischen Kaiserzeit Interessierten eine wahre Fundgrube an neuesten Erkenntnissen und umfassenden Informationen zur Person Neros dar.

Sabine Mahnel
04.07.2016

 
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Das Buch:

Generaldirektion Kulturelles Erbe, Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum Simeonstift Trier, Museum am Dom Trier (Hg.): Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann

Darmstadt: Theiss Verlag 2016
439 S., € 39,95
ISBN: 978-3-8062-3309-4

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