Medien & Gesellschaft

Eine Zeitreise der ganz besonderen Art

Die Neugier des Menschen kennt bekanntlich keine Grenzen. Trotz oder gerade aufgrund der eingeschränkten Mobilität war der Mensch schon in der vorchristlichen Zeit hochgradig daran interessiert zu wissen, wie sich die Welt außerhalb seines eigenen Erfahrungshorizonts konstituierte. Als das probateste Mittel fungieren hierfür seit jeher Landkarten, um auf einfache Art und Weise das eigene Land, fremde Kontinente oder gar die ganze Welt darzustellen. Offensichtlich hat der homo sapiens sapiens im dritten nachchristlichen Jahrtausend mit Google Maps und sämtlichen Online-Karten eine Ausbaustufe in Sachen Landkarten erreicht, von denen die Vorfahren über viele Jahrhundert hinweg nur träumen konnten.

Der englische Universitätsprofessor Jerry Brotton ist ein Spezialist auf dem Gebiet der Kartografie und hat sich einer höchst spannenden Aufgabe gewidmet, die er mit dem vorliegenden Buch zur Umsetzung gebracht hat. Beginnend mit der "Geographia" des Ptolemäus hat er zwölf epochale Kartenwerke ausgewählt, um anhand dieser die Geschichte der Welt aufzuspannen. Über die mittelalterliche Hereford-Karte, die Weltkarte des Gerhard Mercator, den "Atlas maior" des Joan Blaeu und weitere bedeutende Kartenwerke der Geschichte gelangt er schließlich in seinem finalen Kapitel zu "Google Earth", dem allwissenden, jederzeit verfügbaren und hochgradig detaillierten Kartenwerk der Postmoderne.

Bereits in seinem Vorwort stellt Brotton klar, was der Mensch ohne Karten wäre, nämlich desorientiert und verschollen. Dies erklärt auch die frühen Bestrebungen der Menschen, Karten herzustellen, obgleich der zur damaligen Zeit zur Verfügung stehende Fundus an Informationen sehr dürftig war und auch die Möglichkeiten, Messungen durchzuführen, verglichen mit den heutigen Instrumenten mehr als dürftig waren. So verwundert es kaum, dass gerade in den Frühzeiten der Kartenerstellung die Karte eine höchst subjektive Interpretation der Gegebenheiten darstellte.

"Die Geschichte der Welt in zwölf Karten" liefert hervorragende Einblicke in die kartografischen Herausforderungen, die sich der Menschheit stellten und die auch immer noch gegeben sind. Die größte Schwierigkeit besteht zunächst einmal darin, die Erde als dreidimensionale Kugel auf ein zweidimensionales Blatt Papier zu bannen. Unterschiedlichste Projektionstechniken wurden über die Jahrhunderte hinweg entwickelt und umgesetzt. Auch nimmt man es heutzutage als gegeben hin, dass Karten stets nach Norden ausgerichtet sind. Woher rührt diese Festsetzung? Mit welchen Messmethoden wurden in früheren Zeiten die Abstände zwischen zwei Punkten ermittelt? Brotton nimmt den Leser an die Hand und zeigt auf, welche Fortschritte die Menschheit peu à peu genommen hat.

Das vorliegende Buch ist nicht nur von seiner äußeren Form her ein Schwergewicht, auch inhaltlich ist Jerry Brottons Zeitreise durch die Geschichte der Welt nicht immer leicht verdaulich. Wenn der Wissenschaftler des Öfteren ins Metaphysische abgleitet und mit recht schwülstigen Formulierungen daherkommt, dann braucht der Leser viel Ausdauer. Belohnt wird er immer wieder durch die reichhaltigen Bebilderungen, auf denen die ausgewählten Karten dem Leser auch visuell nähergebracht werden. Unter dem Strich ist Jerry Brotton sein Experiment definitiv gelungen. Denn wer sich die Mühen gemacht hat, mit dem Autor über zweitausend Jahre Menschheitsgeschichte anhand einiger wegweisender Weltkarten zu beschreiten, der hat viel gelernt über den Menschen und dessen grundlegende Motivation.

Christoph Mahnel
27.10.2014

 
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Das Buch:

Jerry Brotton: Die Geschichte der Welt in zwölf Karten

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München: C. Bertelsmann Verlag 2014
720 S., € 39,99
ISBN: 978-3-570-01107-2

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