Wissenschaften
Frischer Wind für philosophische Grundlagenforschung
Die Zahl guter Nachschlagewerke zu philosophischen Grundbegriffen oder Lehrbüchern, die die Grundlagen der Ideengeschichte vermitteln, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Jede weitere Veröffentlichung in diesem Bereich sieht sich mit der Frage konfrontiert, welche Nische sie auf dem stark umkämpften Markt noch für sich entdecken kann.
Reinhard Gobrecht, diplomierter Mathematiker und Philosoph, stellt sich dieser Herausforderung und legt mit "Prinzipien in der Philosophie" einen Überblicksband vor, dessen Aufbau klassisch und einzigartig zugleich ist. Die Essenz aus zweieinhalbtausend Jahren Philosophiegeschichte wird in ihren 92 wichtigsten Grundsätzen dargestellt. Fasst man die verschiedenen Teilaspekte ein und desselben Prinzips wiederum als eigenständig auf, sind es sogar knapp über 200 Grundsätze, die dieses Buch seinen Lesern vorstellt. Eingeordnet sind die verschiedenen Prinzipien in die philosophischen Teildisziplinen Logik, Metaphysik, Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie. Eine weitere Systematisierung erfolgt durch die Zuweisung eines jeden Prinzips in eine (oder mehrere) der drei folgenden Klassen: "Axiome", "methodische Prinzipien" und "Prinzipien zur Förderung der Klarheit philosophischer Begriffe".
Gobrecht beginnt sein Werk mit den aristotelischen Prinzipien der Logik (dem Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch, vom ausgeschlossenen Dritten, der Identität, etc.), die bis heute die absolute Basis aller Wissenschaftlichkeit bedeuten. Ihnen folgen Prinzipien der Kausalität, der Unendlichkeit und der Natur. Die weiteren Ausführungen spannen den großen Bogen über das weite Gebiet philosophischer Grundlagen. Elementare Gedankengebäude des Abendlandes wie Platons Höhlengleichnis, Ockhams Rasiermesser, Leibniz’ Monadenlehre, Humes Formulierung des Induktionsproblems, Kants Kategorischer Imperativ oder Poppers Bestätigungsbegriff der Falsifikation, um nur wenige der bekanntesten zu nennen, finden die gleiche Beachtung wie allgemeine Prinzipien des logischen Schließens, die Sprachkritik des 19. und 20. Jahrhunderts oder metaphysische Fragen nach Gott, Freiheit und der Seele.
Die Erläuterung der Prinzipien folgt durch das gesamte Werk hindurch einer einheitlichen Struktur. Jedes Prinzip ist gegliedert in die folgenden fünf (manchmal sechs) Unterabschnitte: (1) Der jeweils erste Abschnitt, betitelt mit "Bedeutung des Prinzips und Problematisches", liefert zunächst eine einführende Erklärung. Dieser meist auf wenige Sätze begrenzte Überblick arbeitet wie in einem kompakten Nachschlagewerk den Kern des jeweiligen Prinzips heraus. (2) Im zweiten Teil "Zur Geschichte des Prinzips" folgt eine chronologische ideengeschichtliche Einordnung, in der ihre Hautvertreter und -werke genannt sind und verschiedene Auslegungsweisen voneinander abgegrenzt werden. (3) Der dritte, in der Regel umfangreichste Paragraph "Belegstellen für das Prinzip" ist eine Sammlung von meist zahlreichen Zitaten klassischer Philosophen, die aufgrund der Nennung genauer Belegstellen zum Lesen im Kontext in der jeweiligen Primärquelle einladen. In ihrer Kombination vereinen die beiden Abschnitte 2 und 3 genau das, was sonst nur ein historisches Wörterbuch der Philosophie leisten kann. (4) In "Begründung des Prinzips" wird die Gültigkeit des jeweiligen Grundsatzes (bspw. in Form eines Widerspruchbeweises) gezeigt, mindestens jedoch eine Kategorisierung des Prinzips in Axiom, Definition oder Methode vorgenommen. (5) Der Abschnitt "Relation zu anderen Beweisen" liefert Querverweise zu anderen Kapiteln des Buches, die in engem Zusammenhang mit dem jeweils besprochenen Prinzip stehen. (6) Insbesondere die ersten Prinzipien des Buches sind abschließend noch um den sechsten Paragraphen "Logische Formalisierung des Prinzips" erweitert, der das jeweilige Prinzip aussagen-, prädikaten- oder modallogisch formalisiert.
Genau dieser auf einzigartige Weise durchkonzipierte und klar strukturierte Aufbau legt Studierenden der Philosophie mit diesem Buch eine vielseitig einsetzbare Allzweckwaffe in die Hand. Studienanfängern ist "Prinzipien in der Philosophie" eine einführende Orientierungshilfe, Studierenden höheren Semesters ein übersichtliches und zuverlässiges Nachschlagewerk. Doch auch Interessierten, die sich nicht primär dem Studium der Philosophie verschrieben haben, sei dieser zum Schmökern einladende Streifzug durch die Geschichte antiker bis moderner Denkkonstrukte wärmstens ans Herz gelegt. Schnelle Antworten werden genauso leicht gefunden wie verständliche Erklärungen komplexer Sachverhalte. Dies ist insbesondere der klaren, analytischen Sprache des Autors zu verdanken. Dass dabei hinsichtlich der Ästhetik vereinzelter sprachlicher Formulierungen oder beim Layout gewisse Abstriche gemacht werden mussten, nimmt man für die direkte Informationsvermittlung gerne in Kauf.
Ein kurzes Inhaltsverzeichnis für den schnellen Überblick sowie zwei ausführliche Übersichtstabellen über alle behandelten Prinzipien ermöglichen dem Leser ein schnelles Zurechtfinden. Darüber hinaus wartet das Werk mit einem differenzierten Quellenverzeichnis sowie einem umfangreichen Sachregister auf.
Reinhard Gobrecht gelingt ein Rundumschlag, der die Vorzüge eines Einführungsbandes, eines enzyklopädischen Nachschlagewerkes und eines historischen Wörterbuches in sich vereint. Mit "Prinzipien in der Philosophie" schließt der Autor eine der letzten großen Lücken in der mittlerweile sonst so dicht besiedelten Landschaft der philosophischen Übersichtsliteratur.
Martin Cremers
10.06.2014