Wissenschaften

Die wahre Chemie des Todes

Der Buchmarkt erlebte in den vergangenen Jahren einen Hype um Kriminalbücher, die ans Eingemachte gehen: Simon Becketts Romane um den Forensiker David Hunter ("Die Chemie des Todes") und reale Kriminalfälle, z.B. geschildert aus der Sicht des Profilers Thomas Müller ("Gierige Bestie"), zeugen von einer Abkehr vom klassischen Whodunit hin zu Werken, bei denen zum einen der Leser das Gefühl vermittelt bekommt, stets zu wissen, was in den Köpfen von Tätern und Täterjägern vorgeht, und zum anderen die modernsten Methoden der Kriminaltechnik Verwendung finden. Daher erscheint mit Michael Tsokos zur rechten Zeit ein Mann auf der Bühne, der als Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Charité in Berlin mit wirklichem Fachwissen berichten kann, was Sache ist.

Wer bis dato geglaubt hat, als aufmerksamer CSI- oder Tatort-Zuschauer zu wissen, wie die Arbeit in der Rechtsmedizin abläuft, der wird gleich zu Beginn von Tsokos zurechtgewiesen: Der Arbeitsplatz des Rechtsmediziners ist kein nur durch Dämmerlicht erhellter Kellerraum, Obduktionen von Leichen ziehen sich nicht über mehrere Tage hin, sondern sind in der Regel innerhalb weniger Stunden erledigt, auch arbeiten stets mehrere Personen gleichzeitig an einem Leichnam. Nachdem der Leser dank dieser Belehrungen eingenordet ist, beginnt Tsokos aus der Praxis zu plaudern: Zwölf ausgesuchte Fälle werden auf jeweils knapp zwanzig Seiten geschildert. Dabei lässt Tsokos den Leser stets ein wenig miträtseln, indem er zunächst die offensichtlichen Merkmale an Tatort und Leichnam schildert. Erste Vermutungen werden überprüft und schließlich durch rechtsmedizinische Befunde verifiziert oder widerlegt und mit der Lösung des Falles beschlossen.

Tsokos hat sein medizinisches Fachwissen für den interessierten Laien sehr gut verständlich aufbereitet und lässt es entsprechend in die Schilderungen der Fälle einfließen. Dabei ist er sehr nüchtern, fast schon befremdlich in der Art und Weise seiner Beschreibung. Doch dokumentiert dies nur zu gut, dass er von nichts anderem als seiner täglichen Arbeit berichtet, zu der er, um so erfolgreich sein zu können, nur wenig emotionale Nähe zulassen darf. Eine Ausnahme bildet allerdings der "Fall Jessica", der aufgrund seiner schockierenden Einmaligkeit vor geraumer Zeit durch die Medien ging und daher auch der einzige nicht-anonymisierte Fall im vorliegenden Buch ist. Leider sind die zwölf Fälle sehr singulär dargestellt und fast gar nicht aufeinander aufbauend geschildert.

Der Leser bekommt im Buch einen hervorragenden Einblick in die Vorgehensweise eines Rechtsmediziners: Man arbeitet sehr strukturiert, ist mit einem detektivischen Spürsinn ausgestattet, der Sherlock Holmes zur Ehre gereicht hätte, wendet die Ausschlussmethode an, wenn sich keine positive Beweiskette findet, aber benötigt auch viel Erfahrung, um fundierte Ergebnisse zu erzielen. Die Palette an Todesfällen ist breit gefächert: Enthauptungen, Suizide, Verbrennungen, Tod durch Verhungern etc. Bemerkenswert sind für den Laien aber vor allem die feinen Unterschiede innerhalb eines einzelnen Segments, so zeigt Tsokos an Beispielen, wie bedeutsam die Details z.B. bei einer schmerzhaften Begegnung von Mensch und Auto sein können: Ob ein "Anfahren", ein "Überfahren" oder ein "Überrollen" vorliegt, ist höchst wichtig für die Rekonstruktion des Hergangs und mit geschultem Blick lassen sich deutliche Unterschiede an der Leiche erkennen.

Auf das Thema "Perfekter Mord" angesprochen, verwundert es nicht, dass es aus der Sicht eines Rechtsmediziners diesen nicht geben kann; es sei denn, es gäbe gar keine Leiche. Denn in ihr liest ein Rechtsmediziner wie in einem offenen Buch. Ausnahmen bilden lediglich stark veraschte Leichen, die eine bestimmte Zeit einer Mindesttemperatur ausgesetzt waren. Im vorliegenden Buch werden Hobby-Kriminologen auf der einen Seite zwar ernüchtert, aber auf der anderen Seite bekommen sie auch gezeigt, dass die Realität nicht weniger spannend sein muss als die Fiktion. Mit etwas über zweihundert, schnell zu lesenden Seiten ist das Buch leider ein wenig kurz geraten. Doch der Grund dafür scheint offensichtlich: Tsokos wird zukünftig sicherlich noch weitere Bücher veröffentlichen und ein zweites Werk aus seiner Feder wird wohl nicht lange auf sich warten lassen.

Christoph Mahnel
04.05.2009

 
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Das Buch:

Michael Tsokos: Dem Tod auf der Spur. Zwölf spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin

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Berlin: Ullstein Verlag 2009
240 S., € 8,95
ISBN: 978-3-548-37262-4

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