Wissenschaften

Vom Jäger und Sammler zum Bauern

Für Wirtschaftshistoriker gibt es drei große Umbrüche in der Menschheitsgeschichte: die Neolithische Revolution, die Industrielle Revolution und die Russische Revolution. Während die beiden letzteren von Historikern, bei allen bestehenden Kontroversen, ausführlich erforscht wurden, stellt die Neolithische Revolution vor etwa 13 bis 14.000 Jahren, der Übergang von Jäger- und Sammlergesellschaften zu bäuerlichen Gesellschaften und damit prinzipiell das Aufkommen von Zivilisation, die Wissenschaft immer noch vor zahlreiche Rätsel. Es ist bis heute auf Grund der unzureichenden Quellenlage umstritten, warum die Menschen sesshaft wurden.

Der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf versucht in seinem Buch genau diesem Phänomen, das er als das "größte Rätsel unserer Geschichte" bezeichnet, auf die Spur zu kommen.

Wildknappheit als Ursache?

Eine der gängigsten Theorien besagt, dass Wildknappheit, hervorgerufen durch jagende Menschen, vor etwa 14.000 Jahren dazu führte, dass die Menschen in bestimmten Teilen der Erde, zunächst im sogenannten Fruchtbaren Halbmond, das Gebiet, welches ausgehend von der heutigen Türkei sichelförmig über den heutigen Iran bis ins heutige Ägypten reicht, ihre traditionelle Lebensweise als Jäger und Sammler aufgeben und sich eine alternative Lebensgrundlage suchen mussten. Diese fanden sie, indem sie anfingen, Wildgetreidekörner zu sammeln und zu essen. Daraus entstand die Landwirtschaft.

Reichholf widerspricht dieser These, denn für ihn kann sie den Übergang zur Sesshaftigkeit nicht erklären. So argumentiert er beispielsweise, dass die Menschen, wie in den Jahrtausenden zuvor, dem Wild hätten hinterher ziehen können. Zudem wurde der Ackerbau, so argumentiert der Autor, gerade dort erfunden, wo das Wild nicht knapp wurde. Denn wo wilde Getreideformen in großer Zahl wachsen, finden sich auch Tiere ein. Zudem bot Wildgetreide weder qualitativ noch quantitativ die Möglichkeit, die Menschen zunächst ausreichend zu ernähren.

Alkohol als Lösung?

Reichholf geht davon aus, dass die Erfindung der Landwirtschaft eine andere Ursache hat. Nicht der Mangel an Wildtieren, sondern vielmehr ein Überfluss an Nahrung führte dazu, dass sich die Menschen dem Sammeln und Verarbeiten von Wildgetreide widmen konnten. Sie benutzten das aufgesammelte und später geerntete Getreide jedoch nicht zum Zubereiten von Speisen, so Reichholf. Vielmehr verwendeten die Menschen es zur Herstellung von Bier. Erst deutlich später wandte sich der Mensch dann dem Backen von Brot zu.

Doch wofür brauchte der Mensch das Bier überhaupt? Die Antwort ist für Reichholf ganz einfach: Menschen berauschen sich gerne an den verschiedensten Drogen. Teilweise mit Pilzen oder Beeren und im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes mit Bier aus Getreide. Zudem diente Alkohol auch als eine Art von Heilmittel und zu kultischen Zeremonien.

Interessante, aber nicht hinreichend belegte Theorie

Reichholf bietet in seinem Buch eine interessante Theorie zur Entstehung der Neolithischen Revolution. Dabei führt er einige Fakten an, die seine These untermauern. So wurde beispielsweise zunächst Gerste kultiviert, Weizen folgte erst viele tausend Jahre später. Andererseits übergeht der Autor aber auch geflissentlich Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler. So ist auf Grund von Knochenfunden längst nachgewiesen, dass die Menschen, die sich dem Ackerbau zuwandten, ernährungstechnisch zunächst viel schlechter dastanden als die Jäger und Sammler zuvor. Und das alles nur für Bier?

Auch die Schreibweise des Buches trägt nicht gerade dazu bei, Reichholfs Theorie mehr Glaubwürdigkeit zu geben. Die einzelnen Kapitel wirken teilweise wie unabhängige Texte. Der Zusammenhang zwischen ihnen ist oftmals kaum zu erkennen oder wird nur ganz kurz und knapp und dargestellt. Der Leser bekommt fast den Eindruck, dem Autor fehle der Argumentationsstrang.

Anregendes und leicht verständliches Werk

Trotz dieser Schwächen bietet Reichholfs Buch einen anregenden Beitrag zur Neolitischen Revolution im Speziellen und durch seine Überflusstheorie zur menschlichen Evolution im Allgemeinen. Auch wenn er den Übergang von den Jäger- und Sammlergesellschaften zu den bäuerlichen Gesellschaften sicherlich nicht umfassend erklären kann, sollten seine Überlegungen nicht außer Acht gelassen werden. Sie enthalten viele interessante und neue Forschungsaspekte.

"Warum die Menschen sesshaft wurden" ist leicht verständlich geschrieben und wird immer wieder durch kleine Anekdoten und persönliche Erlebnisse des Autors aufgelockert. Es richtet sich nicht nur an einen kleinen Fachkreis von Experten, sondern an ein breites Publikum.

Robert Korntheuer
27.10.2008

 
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Das Buch:

Josef H. Reichholf: Warum die Menschen sesshaft wurden. Das größte Rätsel unserer Geschichte

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Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2008
320 S., € 19,90
ISBN: 978-3-10-062943-2

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