Wissenschaften
Das etwas andere Kräuterbuch
Ein Gegenargument, das Phytotherapeuten, also Kräuterheilkundlern, und Alternativmedizinern oft beim Einsatz von Mitteln aus Heilkräutern entgegenschlägt, ist das der angeblichen Unwirksamkeit der Kräuter und ihrer Inhaltsstoffe. Angebliche Unwirksamkeit deshalb, weil diejenigen, die dieses Argument vorbringen, wissenschaftliche Belege fordern. Diese gibt es zwar nicht für jedes Kraut, das auf diesem Planeten wächst, aber doch für einige der bekanntesten Heilkräuter. Und genau diese wissenschaftlichen Belege hat die Biochemikerin Renée Schroeder einmal genauer unter die Lupe genommen und daraus das Nachschlagewerk (plus Rezeptanhang) "Wie Wildkräuter wirken" entwickelt.
Renée Schroeder zog es nach ihrer Karriere in der Wissenschaft als Bäuerin auf eine Alm in Österreich. Dort forscht sie selbst an Kräutern, sammelt, verarbeitet sie und entwickelt Rezepte auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Wirkweise der Kräuter. Ein wissenschaftlicher Ansatz liegt auch ihrem Buch zugrunde. Ihr Schreibstil ist zwar nicht hochwissenschaftlich, verlangt dem Leser aber dennoch etwas mehr ab als der gewöhnliche Kräuterratgeber.
Bevor sie sich den einzelnen Pflanzen widmet, beschreibt Schroeder die Wirkstoffe von Pflanzen und bildet diese - ganz die Biochemikerin - auch als chemische Formeln ab. Um sichtbar machen zu können, in welchem Grad die Wirkweise der Pflanzen bereits wissenschaftlich nachgewiesen ist, hat sie eine Symbolik entwickelt, die bei den Pflanzenporträts auf einen Blick ersichtlich macht, ob es sich um eine wissenschaftlich sehr gut untersuchte Heilpflanze handelt und ihre Wirkung auch nachgewiesen ist, oder ob es sich bei den Beschreibungen nur um traditionelle Überlieferungen handelt.
Die Pflanzenporträts (z.B. Brennnessel, Fichte, Schlüsselblume, Löwenzahn, Spitzwegerich) sind zunächst klassisch aufgebaut: Geschichtliches, Inhaltsstoffe, Anwendung und Wirkung sowie "Was sagt die Wissenschaft?" sind die einzelnen Abschnitte auf den meist doppelseitigen Porträts. Was dann aber ins Auge sticht, sind die Fotografien, die nicht wie üblicherweise die Pflanze als Ganzes in ihrem natürlichen Habitat oder Teile wie die Blüte oder Blätter zeigen. Nein, es sind Aufnahmen, die mit einem Digitalmikroskop gemacht wurden und die Pflanze in 200-facher Vergrößerung zeigen. Dabei entstehen Ansichten, die selbst erfahrene Kräutersammler und Heilkundler bisher selten gesehen haben. Man erkennt feinste Härchen und Strukturen und sieht z.B. die Tröpfchen ätherischen Öls beim Thymian.
Den Abschluss von "Wie Wildkräuter wirken" bildet ein Rezeptteil, der Rezepte für Tinkturen, Tees, Salben, Oxymele oder auch Seifen enthält. Bis auf diesen letzten Part, der eher an gewöhnliche Kräuterbücher erinnert, ist Renée Schroeders Werk alles andere als gewöhnlich und daher eine sehr gute Ergänzung für Phytotherapeuten und interessierte Laien, die auf wissenschaftlicher Ebene mehr über die von ihnen verwendeten Kräuter wissen wollen - nicht zuletzt auch, weil im Anhang alle erwähnten Studien zum Nachlesen und Weiterforschen aufgeführt sind.
Sabine Mahnel
02.06.2025