Wissenschaften
Die Mutter aller Städte
Seit ihrer Gründung - der Sage nach im Jahr 753 v.Chr. - hat die Stadt Rom einen stetigen Wandel erlebt, der sich zwar nur unzulänglich beschreiben lässt, wenn man die Stadt in ein Rom der Kaiser, ein Rom der Päpste und das moderne Rom unterteilt. Jedoch gibt diese Unterteilung schon einmal ein grobes Raster vor. Rom hat sich aus einem sumpfigen Tal und einigen Hügeln zu einer Großstadt von Weltruhm entwickelt und war dabei doch nie eine Planstadt. Gewaltsame Eingriffe in das Stadtbild, Plünderungen und Umgestaltungen diverser Herrscher haben die heutige italienische Hauptstadt zu dem gemacht, was sie heute ist: eine Art Mutter aller Städte - viel erleidet und erduldet und immer noch stolz und schön.
Die Kunsthistorikerin Jessica Maier hat einen Ansatz zur Beschreibung der Geschichte Roms gewählt, der einen Schwerpunkt auf verschiedene Karten Roms legt, dabei aber auch die kulturellen und politischen Veränderungen in Textform mit einbezieht. In zehn Kapiteln, die chronologisch voranschreiten, zeichnet sie mehr als 2000 Jahre Stadtgeschichte nach - beginnend mit der Sage von Romulus und Remus bis zu den Plänen der modernen Städteplaner im 21. Jahrhundert. Dabei sind die dazu gezeigten Karten nicht zwangsläufig immer aus der jeweiligen Zeit, sie entstammen unterschiedlichen Epochen.
Die Abbildungen in "Rom - Zentrum der Welt" bestehen jedoch nicht nur aus Karten und Plänen, sondern auch aus Zeichnungen, Fotos und Gemälden. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein und spiegeln damit auch die Vielfältigkeit und die bewegte Geschichte Roms wieder. Da gibt es z.B. Fotos von den wenigen erhaltenen Bruchstücken der Forma Urbis, dem ältesten bekannten Stadtplan Roms, der in eine große Marmorplatte gemeißelt war. Beeindruckend ist auch der Plan der vielen Straßen, die zur römischen Kaiserzeit vom heutigen England bis Nordafrika gebaut wurden - wobei die wohl bekannteste, die Via Appia, nur einen geringen Teil des gesamten Straßennetzes ausmachte.
Bis zu den ersten touristischen Karten im 19. Jahrhundert musste die Kartographie der Stadt Rom einen langen Weg zurücklegen. Die Stadt, die nach dem Untergang des Römischen Reichs mehr oder weniger verfallen und Plünderungen zum Opfer gefallen ist, bot den Kartographen aufgrund ihres in der Tat lückenhaften Stadtbilds viel Raum für Wunschprojektionen; will heißen, was nicht mehr vorhanden war, wurde auf Karten auch gerne mal so ergänzt, wie man es sich vorgestellt oder gewünscht hat. Daher sind Karten auch immer mit Vorsicht zu genießen. Sie bilden nie die ganze Realität ab. Sie sind selektiv und müssen es auch sein. Außerdem sind sie auch immer durch die technischen Möglichkeiten ihrer Entstehungszeit begrenzt.
Jessica Maiers Reise durch zwei Jahrtausende endet mit einem kleinen Ausblick der heutigen Städteplaner der italienischen Hauptstadt. Einer der aktuellen Pläne zeigt u.a. den geplanten Ausbau des römischen U-Bahn-Netzes - ein nicht ganz einfaches und wahrscheinlich nicht immer wie geplant durchführbares Unterfangen, da gerade im Zentrum der Untergrund der Stadt nur schwer zu durchgraben ist. Rom hat sich im Laufe der Jahrtausende viele Schichten zugelegt. Gräbt man heute mitten im Rom und begibt sich in den Untergrund, kommen dort viele Vorgängerversionen der Mutter aller Städte zum Vorschein.
Spannend bleibt auch im 21. Jahrhundert die Entwicklung dieser geschichtsträchtigen Stadt, die von der Kunsthistorikerin Jessica Maier in "Rom - Zentrum der Welt" so unterhaltend und informativ anhand von Karten und Plänen dargestellt wurde. Für Rom-Fans ein weiterer Schmuckband im Bücherregal. Bei der Lektüre darf man jedoch eines nicht vergessen: die Lupe! Die Karten sind aufgrund der notwendigerweise verkleinerten Darstellung im Buch oft nicht mit bloßem Auge entzifferbar.
Sabine Mahnel
23.01.2023