Wissenschaften

Kopfnüsse für Gehirnakrobaten

Pythagoras von Samos war weit mehr als das, worauf ihn 99,9% der Menschheit reduziert. Ein vielseitiger Denker war der Mann, der im fortgeschrittenen Alter seine Insel verließ, um im südlichen Italien - damals bekannt als Magna Graecia - seine philosophische Schule der Pythagoreer zu begründen. Darüber hinaus war er ein politisch engagierter Mensch und nicht nur ein Vordenker in Sachen Mathematik, sondern gleichermaßen talentiert und wegweisend in Naturwissenschaften, Religion, Astronomie oder der Musik. Dennoch kennt man ihn rund zweieinhalb Jahrtausende später nur aufgrund des nach ihm benannten mathematischen Satzes über das Verhältnis der beiden Katheten zur Hypotenuse im rechtwinkligen Dreieck. Recht simpel formuliert ist dort nämlich die Summe der beiden Kathetenquadrate gleich dem Hypotenusenquadrat.

a2 + b2 = c2, so die elegante Formel, die jeder Pennäler über das Ende seiner Schulzeit in Erinnerung behalten hat. Wozu das Ganze nützlich ist? Nun ja, man stelle sich vor, dass man ein Straßenfest plant. Die Straße ist exakt 100 Meter lang, zur Verfügung hat man eine Girlande von 101 Metern. Am einen und am anderen Ende der Straße befestigt man die Girlande jeweils am unteren Ende eines Laternenmasts. Exakt in der Mitte möchte man nun einen Mast aufstellen, um die Girlande aufzuspannen. Diese soll dabei nicht durchhängen, sondern straff gespannt sein. Man wird sich zwangsläufig fragen, wie hoch der Mast denn sein muss. Sicherlich werde ein recht kurzer Mast - maximal in Hüfthöhe - dafür ausreichen. Weit gefehlt, denn Pythagoras mit seinem Satz über rechtwinklige Dreiecke wird die Planer des Straßenfests rasch eines Besseren belehren.

"Was hat Pythagoras mit Girlanden zu tun?" lautet der Titel des neuesten Buchs von Alex Bellos. Verantwortlich für den Titel ist eben jene Girlanden-Aufgabe, die eines von insgesamt 125 Rätseln im vorliegenden Buch bildet. Der Autor hat aus über 2000 Jahren Mathematik die seines Erachtens besten und kniffligsten Rätsel zusammengestellt. Seit jeher sind Menschen fasziniert von der Schlichtheit eines Rätsels, das leicht verständlich daherkommt, aber nur sehr schwer zu lösen ist. Man gelangt bei der Suche nach der Lösung in einen Tunnel und nimmt währenddessen nichts mehr von seiner Umwelt wahr. Umso schöner ist dann schließlich das Auftauchen aus der Aufgabe, wenn man sie vollständig durchdrungen hat und auf des Rätsels Lösung gestoßen ist. Bellos hat für das vorliegende Buch eine exquisite Auswahl solcher unwiderstehlicher Rätsel getroffen, die jeden Freund der Gehirnakrobatik in den Bann ziehen wird.

Natürlich finden sich in "Was hat Pythagoras mit Girlanden zu tun?" auch einige Klassiker der Rätsel-Geschichte wieder, wie die legendäre Aufgabe mit Wolf, Ziege und Kohlkopf, die auf die andere Seite des Flussufers zu bringen sind, ohne dass während der Fahrten mit dem Boot, das unter begrenzter Kapazität leidet, eines der Objekte am Ufer von einem anderen vertilgt wird. Während dieses Rätsel den meisten Lesern noch geläufig sein dürfte, hat der Autor auch sehr viele Aufgaben ausgegraben, die zwar schon einige Jahre auf dem Buckel haben, aber dennoch weitgehend unbekannt sind und damit maximalen Rätselspaß versprechen. Bellos hat seine 125 Kopfnüsse thematisch in logische, geometrische und gegenständliche Probleme sowie puristische Zahlenspiele unterteilt.

Zwischen diesen Kapiteln hat er einige Lockerungsübungen eingestreut, jeweils in Form von zehn Fragen, die in Großbritannien im Rahmen jährlicher Wettbewerbe elf- bis dreizehnjährigen Schülern gestellt werden. Nach zwei Dritteln des knapp vierhundert Seiten starken Buchs ist es mit der Rätselei auch schon vorbei, es warten im letzten Drittel noch ein umfangreicher Lösungsteil zu den 125 Fragen sowie die Antworten auf besagte Schüler-Aufgaben. Ganz am Ende des Buchs hält Alex Bellos noch interessante Angaben zu den Ursprüngen der 125 Rätsel bereit und benennt deren erstmalige Erwähnung. Ach ja, die Veranstalter des Straßenfests werden sicherlich vor eine große Herausforderung gestellt, da sie einen mehr als sieben Meter hohen Mast aufstellen müssen, um die Girlande, die doch nur einen Meter länger als die Straße ist, wie geplant aufzuhängen.

Christoph Mahnel
29.01.2018

 
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Das Buch:

Alex Bellos: Was hat Pythagoras mit Girlanden zu tun? Die 125 besten Rätsel aus 2000 Jahren Mathematik. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt

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München: Piper Verlag 2017
384 S., € 15,00
ISBN: 978-3-492-06094-3

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