Hörbücher

Medien-Bashing von Meister Eco

Der Journalist Colonna ist im Frühjahr 1992 Teil eines Start-Ups, ohne zu wissen, dass man erst einige Jahre später diesen Begriff für ihn und seine Redaktionskollegen verwenden würde. "Domani" ist der Name einer neuen Monatszeitschrift, die auf dem italienischen Markt erscheinen soll. Als Auftraggeber von "Domani" fungiert der "Commendatore", ein mächtiger und nach den Sternen strebender Mann, der sein gesellschaftliches Imperium ausbauen möchte und zu diesem Zweck ein höchst merkwürdiges Spiel vorbereitet hat. Die Ankündigung, "Domani" zu etablieren, ist seine Drohkulisse, sein Erpressungsversuch gegenüber der Gesellschaft, um in selbiger emporzusteigen. Tatsächlich ist er gar nicht daran interessiert, auch nur eine einzige Ausgabe herauszugeben. Colonna und seine Kollegen produzieren demnach lediglich sogenannte "Nullnummern".

Doch Colonna ist neben dem Chefredakteur einer der beiden Wissenden um den Charakter dieses Potemkinschen Dorfs. So spielt auch er ein doppelbödiges Spiel, denn nebenher schreibt er noch ein Enthüllungsbuch über das ungeheure Vorgehen des "Commendatore" und den Schein von "Domani". Die Redakteure werden im guten Glauben gelassen, doch galoppieren einige der Schreiberlinge davon und bringen unter anderem wüste Verschwörungstheorien um das Über- und Weiterleben Mussolinis auf den Tisch, die sukzessive Wirklichkeit und Fiktion ineinander zerfließen lassen. Als jedoch eines Tages mit Braggadocio der für die wilden und abstrusen Gedankenkonstrukte um den Duce verantwortliche Redakteur leibhaftig ermordet wird, weiß selbst Colonna weder ein noch aus und bleibt völlig verwirrt und verängstigt zurück.

"Nullnummer" ist nicht nur die gängige Bezeichnung für die Testausgabe einer Zeitschrift, die noch nicht auf den Markt gebracht wird, sondern auch der Titel des neuesten Romans von Umberto Eco. Der Grandseigneur der zeitgenössischen italienischen Literatur ist sogar hierzulande einem sehr breiten Publikum ein Begriff, markierte die Verfilmung seines Bestsellers "Der Name der Rose" in den achtziger Jahren schließlich einen Meilenstein für Film und Fernsehen. Doch ist Eco beileibe mehr als ein Schriftsteller, der einen spannenden Klosterkrimi aus dem Mittelalter zustande gebracht hat. Viele Folgewerke des Sprachakrobaten aus dem Piemont waren zudem deutlich anspruchsvoller als die Geschichte eines Franziskanermönchs und seines Novizen in einer Benediktinerabtei. In Konsequenz musste sich jeder Leser von Ecos Werken darüber im Klaren sein, dass ein Buch aus dessen Feder nur mit nicht unerheblichem Aufwand konsumiert werden konnte.

In diese Kategorie fällt definitiv auch "Nullnummer". Eco hält einen gehörig auf Trab mit seinen ständigen Wechseln in den verschiedenen Ebenen der Erzählung. Reale Gedanken und Handlungen werden von fiktiven Ideen überlagert und verdrängt, so dass es sogar den Protagonisten schwindlig werden dürfte, je nachdem für welchen Erzählkniff Ecos sie gerade herhalten müssen. Das vorliegende Hörbuch vereinfacht dem auditiv veranlagten Literaturfreund die Aufgabe, "Nullnummer" zu durchdringen, keineswegs. Gedankliche Abschweifungen oder gar Auszeiten beim Hören verzeiht Eco nicht und bestraft seinen Hörer mit Bezugsverlust. Glücklicherweise hält einen der griffe Vortrag von Felix von Manteuffel bei Laune und eng am Geschehen. Darüber hinaus konnten auch die sonst oft für Verwirrung verantwortlichen Kürzungen dem Produkt des Hörverlags keinen Schaden anhaben, da das nur 240 Seiten umfassende Kurzwerk Ecos gleich vollständig als Hörbuch eingelesen wurde.

Umberto Eco hat in seinen eventuell letzten Roman - so zumindest seine eigene und durchaus glaubhaft vermittelte Ankündigung in einem ZEIT-Interview - trotz der Kürze ganz viel Stoff gepackt. Die Medien bekommen dabei ordentlich ihr Fett weg, der "Commendatore" als der große Mann im Hintergrund ist - wen überrascht es wirklich? - kein Geringerer als das fiktive Pendant zu Silvio Berlusconi. Eco hält der Gesellschaft einen wunderbaren Spiegel vor, indem er mit der wachsenden Nachfrage an Verschwörungstheorien und der entsprechenden Bedienung durch die Medien jongliert. "Nullnummer" verarbeitet viele Herzensthemen des Autors, doch umschleicht einen das Gefühl, dass in den schmalen Raum zu viele Gedanken und Ideen eingebracht wurden, so dass am Ende die eigentliche Handlung nicht wie ein roter Faden, sondern als ein missbrauchtes Vehikel wahrgenommen wird. Sollte "Nullnummer" jedoch eines Tages als Schlusspunkt in Umberto Ecos Bibliographie geführt werden, ist sein Erwerb für ambitionierte Leser praktisch ein uneingeschränktes Muss.

Christoph Mahnel
19.10.2015

 
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Das Buch:

Umberto Eco: Nullnummer

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Sprecher Felix von Manteuffel
München: Der Hörverlag 2015
Spieldauer: 366 Min., € 21,99
ISBN: 978-3-844-51953-2

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