Hörbücher
Ein folgenschwerer Fund
Der einstige Erfolgsautor John Rothstein wird von drei Männern überfallen. Einer der Täter ist Morris Bellamy, der Jahre zuvor die erfolgreiche Jimmy-Gold-Trilogie von Rothstein verschlungen hatte, jedoch mit dessen Ende überhaupt nicht einverstanden war. Diesen Verrat an Bellamys literarischem Helden muss Rothstein mit dem Tod büßen. Aus dem Tresor des Autors entwendet Bellamy neben einer respektablen Summe Bargeld noch unzählige Notizbücher, in denen Rothstein unter anderem zwei noch unveröffentlichte Nachfolgebände zu besagter Trilogie niedergeschrieben hatte. Bellamy versteckt die heiße Ware umgehend, kommt allerdings in den folgenden Jahren nicht in den Genuss, sich die Werke Rothsteins zu Gemüte zu führen, da er wegen einer Vergewaltigung im Vollrausch zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt wird.
Dreißig Jahre später findet der junge Pete Saubers den sich immer noch im Versteck befindlichen Koffer mit der Beute Morris Bellamys. Auch Pete ist ein begeisterter Anhänger der Jimmy-Gold-Trilogie, darüber hinaus kommt ihm der Fund des Geldes gerade recht. In der Wirtschaftskrise haben Petes Eltern ihre Jobs verloren, der Haussegen hängt ob der ewigen Diskussionen ums liebe Geld bedenklich schief. So bedient sich Pete zunächst des Mammons und initiiert monatliche Geldsendungen an seine Eltern. Irgendwann ist allerdings die nur endlich sprudelnde Quelle erschöpft und Pete macht sich daran, die Werke Rothsteins zu Geld zu machen. Doch just zu dieser Zeit darf Morris Bellamy wieder ungefilterte Luft atmen. Nach mehr als drei Jahrzehnten ist er besessen von dem Gedanken, endlich in die Fortsetzung der Jimmy-Gold-Trilogie eintauchen zu können. Einen ihm im Wege stehenden Jüngling wird er dafür kaltblütig töten, ohne mit der Wimper zu zucken.
"Finderlohn" heißt das neueste Werk aus der Feder Stephen Kings. Der Altmeister des Horrors und Crimes schlägt seit geraumer Zeit deutlich ruhigere Töne an als noch in seiner Sturm- und Drangphase. Auch das vorliegende Werk wird man durchaus in einigen Jahren einmal als "späten King" klassifizieren. Das Besondere dabei ist, dass King auch sehr gut ohne seine nervenzerreißenden Horrorszenarien auskommt und dabei richtig hochwertige Thriller produziert. "Finderlohn" bildet den zweiten Teil seiner Bill-Hodges-Trilogie. Nachdem der pensionierte Cop in "Mr. Mercedes" dem wahnsinnigen Brady Hartsfield das Handwerk legen konnte, tritt er zwar spät, aber doch noch rechtzeitig in "Finderlohn" auf, um dem verzweifelten Pete Saubers zur Hilfe zu eilen.
Im ersten Drittel kommt "Finderlohn" noch gänzlich ohne Bill Hodges aus, doch dann tauchen die drei Gestalten wieder auf, die einem schon in "Mr. Mercedes" ans Herz gewachsen waren. Neben dem sich mittlerweile auf einem Gesundheitstrip befindlichen Ex-Cop wären dann noch sein heranwachsender Helfershelfer Jerome Robertson und die immer besser auf eigenen Füßen stehende Holly Gibney, die zusammen einst den psychopathischen Mercedes-Killer überwältigt hatten. Der Genuss von "Finderlohn" entfaltet sich daher vollends nur mit der Kenntnis des Vorgängerbands, beispielsweise ist die Misere der Familie Saubers unter anderem auch dem Attentat vor dem City Centre geschuldet, bei dem Petes Vater durch die Attacke des Mercedes-Killers schwer verletzt worden war. Auch selbigem widmet sich Bill Hodges immer noch sehr intensiv. Brady Hartsfield vegetiert nämlich in einem örtlichen Krankenhaus in einem Dämmerzustand vor sich hin, der Schlimmes befürchten lässt.
Bei der Frage nach dem Format, ob Buch oder Hörbuch, ergibt sich für höraffine Freunde Kings die Antwort beinahe zwangsläufig. Da mit David Nathan wieder der Haus- und Hofsprecher Kings am Mikrofon sitzt, kann die Wahl nur auf das vorliegende ungekürzte Hörbuch von Random House Audio fallen. Knapp fünfzehn Stunden lang performt Nathan wieder als One-Man-Ensemble und gibt mit seiner wandlungsfähigen und vielfältigen Stimme jedem der zahlreichen Charaktere seine eigene Identität. Allerhöchstens noch kann ein Rufus Beck auf dem deutschsprachigen Hörbuchmarkt David Nathan das Wasser reichen, ansonsten schwebt der 44-jährige Berliner mit seinen Leistungen über allem, was derzeit an Büchern auf CDs oder mp3-CDs eingelesen wird. Man möchte nur hoffen, dass Nathan vom anstehenden Erkältungswetter verschont bleibt und seine Stimme für viele weitere Aktivitäten bei Laune hält.
Stephen King hat trotz seines fortgeschrittenen Alters - immerhin hat er dieser Tage seinen 68. Geburtstag gefeiert - nichts an Produktivität eingebüßt. Neben der Bill-Hodges-Trilogie, die nach "Mr. Mercedes" im vergangenen Jahr schon im nächsten Jahr mit "End of Watch" - so der englische Titel des Abschlussbands - gekrönt werden soll, produziert King zwischendurch mal Anfang 2015 mit "Revival" oder auch dem für den kommenden Januar angekündigten Kurzgeschichtenband "Basar der bösen Träume" noch weitere Werke, für die sich manch anderer Schriftstellerkollege Jahre Zeit lassen würde. Im mit Spannung erwarteten Schlussakkord der Bill-Hodges-Trilogie wird wie nach den Andeutungen in "Finderlohn" nicht anders zu erwarten mit Brady Hartsfield der Mercedes-Killer zurückkehren. Bei Kings Schreibtempo darf mit tödlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich seine Anhänger schon im Laufe des kommenden Jahres darauf stürzen können.
Christoph Mahnel
28.09.2015