Hörbücher
Der Erfüllungsgehilfe Heinrichs VIII.
Er war der Sohn eines einfachen Hufschmieds und wurde zum wichtigsten Strippenzieher am Hofe Heinrichs VIII. von England. Thomas Cromwells Leben und Wirken steht im Mittelpunkt des vorliegenden Hörbuchs "Wölfe" aus der Feder von Hilary Mantel. Sie beginnt Cromwells Werdegang mit seiner Kindheit in Putney, die alles andere als eine schöne und erinnerungswürdige Zeit war. Cromwell wurde vom Vater geschlagen und es schien ihm kein einfaches Leben beschieden. Daher versuchte er sein Glück zunächst in der Ferne, um sich mit verschiedenen Tätigkeiten über Wasser zu halten. Er verdingte sich als Söldner in Frankreich, verdiente sein Geld als Tuchhändler und gelangte schließlich über Kardinal Wolsey, dessen Diener und engster Vertrauter er wurde, an den Hof des Königs von England, den des berühmt-berüchtigten Heinrichs VIII.
Die englische Schriftstellerin Hilary Mantel hat mit ihrer geplanten Cromwell-Trilogie für ungeheures Aufsehen gesorgt. "Wölfe" bildet den Auftakt dieses dreibändigen Geschichtserlebnisses. Auch der zweite Teil mit dem Titel "Falken" ist bereits in Deutsch erschienen. Was die Hörbücher des herausgebenden Audiobuch Verlags betrifft, ist bemerkenswert, dass die Freiburger zunächst im März dieses Jahres "Falken" als Lesung herausbrachten und nun die Vertonung des ersten Teils nachgeschoben haben.
"Wölfe" schildert die spannenden Episoden der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus der Perspektive Thomas Cromwells. König Heinrich VIII. ist mit Katharina von Aragón verheiratet, ihr jedoch mittlerweile überdrüssig, da sie ihm keinen männlichen Nachkommen schenken konnte und er bereits mehr als ein Auge auf die Hofdame Anne Boleyn geworfen hat. Um sich von Katharina scheiden lassen zu können und mit Anne eine neue Ehe eingehen zu können, überwirft sich Heinrich mit der katholischen Kirche, die ihm dieses untersagt. Dieser Vorfall führt letztlich zur Gründung der anglikanischen Kirche. Inmitten all dessen tummelt sich Thomas Cromwell und sorgt dafür, dass der König bekommt, was er bedingungslos fordert.
Ganz Europa ist verwundert darüber, dass der Sohn eines Hufschmieds in eine solche Position gelangen konnte. Bei seinem Aufstieg kommen Cromwell seine besonderen Fähigkeiten der Beobachtung zugute. Cromwell versteht es brillant, die Menschen zu beobachten und mit seinem feinen Gespür für sie ihre Motivation zu durchdringen. Darüber hinaus erfährt der Hörer so einiges über die religiösen Konflikte in Europa zur damaligen Zeit, als heftige Grabenkämpfe zwischen Katholiken, Lutheranern und den Anglikanern tobten. "Wölfe" als Auftakt der Cromwell-Trilogie endet schließlich im Jahre 1535 mit dem Tod von Thomas Morus zu einem Zeitpunkt, als Heinrich und Anne bereits einen gemeinsamen Nachkommen hatten, die spätere Königin Elisabeth I. von England.
Hilary Mantel hat für ihre Trilogie eine höchst ungewöhnliche Erzähltechnik gewählt: Die in Kapitel strukturierte Handlung spielt sich ausschließlich in Dialogen ab, wobei die insbesondere in historischen Romanen gängige Perspektive eines neutralen Erzählers völlig ausgespart wird. Wenn ohne weitere Angaben von einem "Er" die Rede ist, dann spricht oder handelt Cromwell. Doch beschränkt sich "Wölfe" nicht nur auf die Person des späteren Lordsiegelbewahrers, sondern der Hörer erhält auch noch Einblicke in andere Gruppierungen, in denen Cromwell selbst nicht aktiv ist. Dabei ist der Hörer jedoch gezwungen, sich seine Informationen abgesehen von der Angabe in der Kapitelüberschrift alleine aus den Gesprächsinhalten abzuleiten. Dieses äußerst unübliche Vorgehen fordert eine hohe Aufmerksamkeit vom Hörer und ist zunächst sehr gewöhnungsbedürftig, bis man sich einmal auf diesen Stil eingestellt hat.
Wie schon in "Falken" übernimmt auch hier Frank Stöckle den Part des Sprechers. Er intoniert dabei die jeweiligen Gesprächspartner sehr unterschiedlich, was dem Hörer eine Differenzierung zwischen den einzelnen Personen ermöglicht und bei dem gewählten Erzählstil Hilary Mantels durchaus willkommen ist. Auf den acht CDs des vorliegenden Hörbuchs, dessen gekürzte Lesung mehr als neuneinhalb Stunden andauert, kommt aufgrund der von Mantel erzeugten Lebendigkeit der Figuren zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf.
Man spürt förmlich in jedem Dialog, wie tief sich die Autorin in die englische Geschichte des 16. Jahrhunderts hineingegraben hat. Der besondere Erzählstil Mantels bietet dem Hörer die Möglichkeit, durch das Eintauchen in die detaillierten Gespräche am Hof tiefer in die Gedankengänge der handelnden Personen vorzudringen. Auch die Verwendung der Gegenwartsform anstelle der gerade in historischen Romanen üblichen Vergangenheitsform katapultiert einen einer Zeitreise gleichsam mitten hinein in die Handlung. Glücklicherweise liegt dem Hörbuch ein mehrseitiges Personenregister bei, das einem bei der Fülle an agierenden Personen die Chance gibt, den Überblick zu behalten. Der abschließende dritte Teil der Cromwell-Trilogie ist laut der zweimaligen Booker-Preisträgerin Hilary Mantel bereits in Arbeit und nach diesem Auftakt herzlich willkommen.
Christoph Mahnel
22.07.2013