Hörbücher

Ein halbes Jahrhundert bayrische Geschichte

Anfang der Achtziger Jahre befand sich die deutsche Medienlandschaft in den letzten Zügen vor dem Aufbruch in die Moderne, die mit der Einführung des Privatfernsehens die medialen Konsumgewohnheiten der Bundesbürger umkrempelte. Zu dieser Zeit konnte man Massen von Menschen noch mit Hilfe von Hörfunkproduktionen vor das Radio locken. Eine dieser letzten großen, breitflächig begeisternden Produktionen war Willy Puruckers "Die Grandauers und ihre Zeit" - eine sich über 28 knapp einstündige Folgen erstreckende bayrische Familiensaga, die von 1979 bis 1985 im Bayrischen Rundfunk ausgestrahlt wurde und ihre Hörer vor dem Radiogerät begeisterte. 

Willy Purucker erzählt darin die Geschichte der Familie Grandauer über zwei Generationen hinweg. Beginnend im Jahre 1893 begleitet der Hörer den Gendarm Ludwig Grandauer, der vom Land in die Stadt nach München versetzt wird, wie er seine zukünftige Frau Agnes kennenlernt und schließlich mit ihr drei Kinder großzieht. Benno, der älteste Sohn, ist prägend für die Fortführungen in der folgenden Generation, da er auch beruflich in die Fußstapfen seines Vaters tritt. Die Hörfunkproduktion endet schließlich mit dem Kriegsende im Jahre 1945.

Der Münchner Willy Purucker erlangte durch "Die Grandauers und ihre Zeit" überregionalen Ruhm, der sich letztlich dadurch ergab, dass er seine Hörfunkfiguren auf den Bildschirm und ins Fernsehen brachte. Begeistert von der Audioproduktion bewegte ihn der damalige Intendant des Bayrischen Rundfunks zu diesem Schritt. Von 1987 bis 1991 liefen insgesamt 32 einstündige Folgen mit großem Erfolg in der ARD. Die Serie firmierte unter dem Titel "Löwengrube", in Anlehnung an die Anschrift des früheren Münchener Polizeipräsidiums. Die Fernsehserie reichte im Gegensatz zum Hörspiel bis in die Fünfziger Jahre hinein und heimste zahlreiche Auszeichnungen wie zum Beispiel den Grimme-Preis ein.

Der Kunstmann Verlag hat die bereits vor einigen Jahren erschienene und alle 28 Folgen umfassende Hörspiel-Box neu aufgelegt und sie in diesem Frühjahr zu einem attraktiven Sonderpreis von knapp 50,00 Euro wieder auf den Markt gebracht. Jedoch ist der Start in die Serie für nicht-bayrische Ohren zunächst durchaus gewöhnungsbedürftig. Es benötigt schon einige Zeit, um sich an den bayrischen Dialekt zu gewöhnen und auch wirklich alles verstehen zu können, was die hochrangige Sprechergarde bajuwarischer Volksschauspieler von sich gibt. Ist diese Eingangshürde genommen, eröffnet sich dem Hörer eine höchst unterhaltsame Reise durch ein halbes Jahrhundert bayrischer und deutscher Geschichte.

Die hochwertige Hörspielinszenierung des Bayrischen Rundfunks besticht durch zahlreiche liebevolle Elemente, die einen in das Leben und in die Zeit der Grandauers hineinversetzen. Da wären zum einen die verschiedenen Musikeinspielungen während der einzelnen CDs, zum anderen die im Laufe der Zeit unterschiedlich intonierte und inszenierte Titelmelodie, die den Wandel und den zeitlichen Fortschritt musikalisch unterlegt, so dass einen das Hörspiel peu à peu gefangen nimmt und man eine gefühlte Zeitreise unternimmt, da man sich stets mittendrin im Geschehen wähnt.

Aber auch inhaltlich hat sich Purucker einiges einfallen lassen, das den Hörer mit Begeisterung packt. Benno Grandauer bekommt als Kriminalist einige interessante Fälle auf den Tisch, darunter auch einige historisch belegte und mit realem Hintergrund. Zum Teil tauchen im Geschehen auch beiläufig historische Personen wie aus dem Nichts auf. So flicht Purucker Hitler und Himmler in die Handlung ein und das zu Zeitpunkten, wo sie noch im Hinter- bzw. Untergrund agierten. Hitler beispielsweise trifft der Hörer auf dem Einwohnermeldeamt Münchens, als dieser sich dort arbeitssuchend anmeldet.

Insbesondere die Epoche des Nationalsozialismus wird für den Hörer greifbar und sehr bevölkerungsnah dargestellt. Man erfährt nachvollziehbar, wie viele Menschen zunächst irritiert und befremdet waren, einige jedoch bereits frühzeitig begeistert, andere wie Benno zwar nicht euphorisch einstimmten, jedoch auch nicht in Opposition traten, um nicht die eigene Karriere oder Familie in Gefahr zu bringen.

Der wahrheitsliebende, pflichtbewusste sowie Recht und Ordnung vertretende Benno Grandauer ist die zentrale Person im vorliegenden Hörspiel-Epos. Darin zeigt sich auch der Erfolg von Puruckers Werk, dem es so treffend gelingt, die typischen Charaktere ihrer Zeit zu zeichnen. Aber auch die Nebenrollen ließ Purucker nicht außer Acht, wie beispielsweise die im Hause Grandauer mitwohnende Schwiegermutter Bennos, die bei den abendlichen Unterhaltungen ihren Gedanken freien Lauf lässt. Hinzu kommt eine tadellose schauspielerische Leistung der weit über hundert Sprecher. Realismus war gefragt und dieser wurde von den bodenständigen bayrischen Volksschauspielern wie Karl Obermayr, Ilse Neubauer, Elmar Wepper, Gustl Bayrhammer etc. hervorragend bedient.

Der Kunstmann Verlag präsentiert die vollständige Serie in einer hochwertigen Box mit 28 CDs, die ob ihrer Fülle an CD-Hüllen zwar ein wenig unhandlich ist, jedoch mit wunderbaren Motiven auf den Hüllen bestückt und mit einem interessantem Booklet versehen ist. Darin findet sich unter anderem ein Interview mit Willy Purucker, der dort die Information preisgibt, dass der Grund für das Ende der Hörspielproduktion nach 28 Folgen im Jahre 1945 ein tragischer war. Hauptdarsteller Karl Obermayr, der sowohl Vater Ludwig als auch Sohn Benno sprach, verstarb völlig überraschend kurz nach dem Abdrehen der 28. Folge, so dass sich für Purucker damit eine Fortsetzung verbot. Als Hommage an Obermayr erhielt Benno Grandauer in der Fernsehserie schließlich den Namen Karl.

Christoph Mahnel 
13.05.2013

 
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Das Buch:

Willy Purucker: Die Grandauers und ihre Zeit

Sprecher: Karl Obermayr, Ilse Neubauer, Elmar Wepper, Gustl Bayrhammer u.a.
München: Kunstmann Verlag 2013
Spielzeit: 1483 Min., € 49,95
ISBN: 978-3-88897-460-1

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