Hörbücher

Frankfurts Buddenbrooks

Bereits zum dritten Mal hat Frankfurt ein Buch gelesen: Nach Valentin Sengers "Kaiserhofstra?e 12" im Jahr 2010 und Wilhelm Genazinos "Abschaffel" war in diesem Jahr das Werk der geb?rtigen Frankfurterin und 1936 in die Schweiz und anschlie?end in die USA emigrierten Silvia Tennenbaum Gegenstand der au?ergew?hnlichen Aktion des Vereins "Frankfurt liest ein Buch e.V.": "Stra?en von gestern" befand sich im Fokus von Frankfurts Literaturfreunden und zog nach Angaben der Veranstalter 13.000 Besucher auf 87 Veranstaltungen an.

"Stra?en von gestern" erz?hlt ?ber die erste H?lfte des 20. Jahrhunderts hinweg die Geschichte der beiden j?dischen Familien Wertheim und S??kind aus dem Frankfurter Westend. Beginnend mit der Geburt der kleinen Lene Wertheim im Jahre 1903 werden im Verlauf der Jahre verschiedene Bilder und Momente der beiden Familien gezeichnet. Verkn?pft sind die beiden Familien ?ber die Ehe von Caroline S??kind und ihrem Mann Nathan Wertheim, den Eltern Lenes.

Zu Beginn des vorliegenden Werkes repr?sentieren die Wertheims und die S??kinds als Bankiers, ?rzte, Buchh?ndler und Museumsdirektoren zwei angesehene Familien aus der obersten Gesellschaftsschicht Frankfurts. Das Familienoberhaupt der Wertheims bilden die betagten Hannchen und Moritz Wertheim; ihre f?nf S?hne weisen f?nf v?llig verschiedene Charaktere auf und w?hlen unterschiedliche Wege, um ihr Gl?ck zu erlangen. In mehreren Zeitspr?ngen entwickeln sich die Generationen der Wertheims und S??kinds im Verlauf der Geschichte weiter. Silvia Tennenbaum w?hlt eine kluge Erz?hlperspektive, die intime Einblicke in das Familienleben liefert, ohne sich in einer epischen Saga zu ereifern.

?hnlich wie in Thomas Manns Familienroman "Die Buddenbrooks" befinden sich die Familien Wertheim und S??kind zu Beginn der Handlung auf dem Gipfel des Erfolgs. Der Verfall der Familie ist im vorliegenden Fall allerdings vorrangig den geschichtlichen Gegebenheiten geschuldet. Vielen Familienmitgliedern gelingt - wie auch der Autorin im wirklichen Leben - der rechtzeitige Absprung aus Deutschland, was ihnen schlussendlich das Leben rettet. Doch einigen Familienmitgliedern bleibt die Rettung versagt, so dass der weitere Verlauf ihres Lebens die tragischen Momente des vorliegenden Werks bildet.

Es erfordert selbst siebzig Jahre danach noch immer eine unglaubliche Vorstellungskraft, sich die Ereignisse inmitten Deutschlands, die Silvia Tennenbaum in ihrem stark autobiographisch angehauchten Roman beschreibt und die dieses Land in anderthalb Jahrzehnten des braunen Schreckens heimgesucht hat, vor Augen zu f?hren und als eine Realit?t zu verdauen, die in der eigenen Stadt und von Menschen aus der Nachbarschaft gepr?gt wurde. Daher haben Romane wie "Stra?en von gestern" eine Notwendigkeit bis in alle Ewigkeit, um nie vergessen zu lassen, was in Deutschland einst geschehen konnte.

Die H?rbuchausgabe hat die 656 Seiten der gedruckten Variante auf vier CDs in der gek?rzten Audioversion komprimiert. Die ansprechende Lesung durch Elisabeth Schwarz erfolgt mit viel Anteilnahme an der Entwicklung der Charaktere. W?hrend das Buch mit der zus?tzlichen Abbildung eines Stammbaums der beiden handelnden Familien dem Leser eine gro?e Hilfe bei der Orientierung ?ber die vielen Ebenen der Generationen hinweg an die Hand gibt, muss der H?rer bei der vorliegenden H?rbuchausgabe leider damit leben, diese Informationen nicht visualisiert vor sich zu haben und stattdessen bei der Einordnung der vielen handelnden Charaktere manches Mal ?berfordert zu sein. Eine Abbildung des Stammbaums in einem beiliegenden Booklet w?re hier sicherlich willkommen gewesen.

Silvia Tennenbaums "Stra?en von gestern" war im Jahre 1983 erstmals erschienen, bevor es im Zuge der diesj?hrigen Wahl zum Buch, das Frankfurt lesen m?ge, neu verlegt und erstmals auch vertont worden ist. Wie der Veranstalter mitteilen lie?, war "Frankfurt liest ein Buch" auch in diesem Jahr ein voller Erfolg, der auf eine Fortsetzung im kommenden Jahr hoffen l?sst. Dabei darf man insbesondere gespannt sein, auf welches Buch die Wahl des Veranstalters 2013 f?llt. Mit einem Werk wie "Stra?en von gestern" hat man die Messlatte f?r die Zukunft n?mlich bereits ziemlich hoch gelegt.

Christoph Mahnel
25.06.2012

 
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Das Buch:

Silvia Tennenbaum: Straßen von gestern. Aus dem Englischen von Ulla de Herrera

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Sprecher: Elisabeth Schwarz
Freiburg: Audiobuch Verlag 2012
Spielzeit: 314 Min., € 19,95
ISBN: 978-3-89964-439-5

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