Hörbücher

Das Gegenteil von Ostalgie

Im Herbst des vergangenen Jahres erschien mit vielen Vorschusslorbeeren versehen Uwe Tellkamps Roman "Der Turm". Mit Preisen geradezu überschüttet erhielt er unter anderem den Deutschen Buchpreis 2008. Oft wird der Roman bereits auch synonym als "der große Wenderoman der jüngeren Vergangenheit" bezeichnet. Tellkamp hat in "Der Turm" seine eigene Geschichte aufgearbeitet: Als Jahrgang 68 und in Dresden geboren musste er sich seinerzeit noch zu drei Jahren Militärdienst bei der Nationalen Volksarmee verpflichten, um danach sein geplantes Medizinstudium beginnen zu können. Beim Militär allerdings mehrfach auffällig geworden wurde er in den "Bau" verwiesen und ihm darüber hinaus auch sein Studienplatz entzogen.

Dies trifft in etwa so auch auf den Protagonisten des Werkes in der vorliegenden Hörbuchfassung zu: Christian Hoffmann, in den die Handlung des Werkes betreffenden Jahren 1982 bis 1989 EOS-Schüler und später NVA-Unteroffizier. Christian ist in einer Familie des Bildungsbürgertums im Turmviertel Dresdens aufgewachsen. Sein Vater Richard ist als Chirurg anerkannt, aber ob mehrerer Verfehlungen in seiner Vergangenheit für die Stasi erpressbar. Des Weiteren sind es seine Mutter Anne, eine Krankenschwester und spätere Oppositionsaktivistin, und sein Onkel Meno Rohde, studierter Zoologe und Lektor in einem Verlag, die Christian nachhaltig beeinflussen. In der gekürzten Hörbuchfassung liegt der Schwerpunkt jedoch klar auf der Entwicklung der Person "Christian Hoffmann". Gelesen wird das fast zehn Stunden dauernde und vom MDR mitproduzierte Hörbuch von Sylvester Groth.

Die von Tellkamp geschaffene Atmosphäre erscheint zu Beginn der Erzählung einem Thomas Mann näher als der Deutschen Demokratischen Republik. Das Szenario eines Familienepos aus dem Bildungsbürgertum erinnert doch stark an "Die Buddenbrooks", während die Abgeschiedenheit des Turmviertels mit seinen bisweilen merkwürdigen Zeitgenossen den Hörer die Abschottung auf dem "Zauberberg" nachempfinden lässt. Jedoch wirkt die vorliegende Hörbuchfassung - wohl teilweise seiner Kürzungen geschuldet - eher wie eine Aneinanderreihung von unzähligen Kurzgeschichten, die den Epos-Charakter einer Familiensaga nur schwerlich durchdringen lassen. Es finden viele Rededuelle statt, in denen der Hörer leicht die Zuordnung des Gesagten zu den beteiligten Personen und damit den Faden verlieren kann. Auch Tellkamps plötzlich abschweifende Exkurse verlangen höchste Konzentration vom Hörer, um "dranbleiben" zu können.

Wie sehr Tellkamp selbst die primitive Sprache des Militärs verabscheut haben muss, wird in den Dialogen während Christians Wehrdienstzeit mehr als deutlich. Die niedere Entwicklungsstufe dieses Slangs schafft geradezu eine Barriere zu Studierten, sprich Militärangehörigen mit Abitur, was in Christians starker Resistenz zu kommunizieren zutage tritt. Ebenso gelungen ist Tellkamps durchgängige Beschreibung der Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber dem Funktionieren des Staatsapparats. Selbst hehre Vorsätze Christians, unauffällig zu agieren und das Unvermeidliche zu ertragen, müssen zwangsläufig scheitern. Tellkamp lässt die DDR parallel zu den Werdegängen seiner Protagonisten unwillkürlich auf die Wendejahre zusteuern. Er unterstreicht mit "Der Turm", dass die Geschichte lediglich ihren konsequenten Gang beschritten hat, da ein anderer Ausgang für das Experiment "DDR" faktisch unmöglich war.

Aber es ist wie immer mit Literatur: Was groß angekündigt als solche daherkommt, wird in seiner Bewertung sicherlich nicht unisono und von jedermann in den Himmel gelobt werden, sondern mit einer breiten Streuung kommentiert werden. Ganz klar ist nämlich, dass diejenigen, die Gefallen an der Flut des Mainstreams à la "Sonnenallee" oder "Goodbye Lenin!" gefunden haben, als Zielgruppe für "Der Turm" nicht zwangsläufig in Frage kommen, da sie höchstwahrscheinlich dem Werk schnell enttäuscht den Rücken zukehren werden. Denn: Ostalgie ist für Uwe Tellkamp ein Fremdwort!

Christoph Mahnel
14.04.2009

 
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Das Buch:

Uwe Tellkamp: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land

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Sprecher: Sylvester Groth
München: Der Hörverlag 2009
Spielzeit: 584 Min., € 29,95
ISBN: 978-3-867-17415-2

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